Leitsatz (amtlich)

1. Für den sich aus Art. 27 EuGVVO ergebenden Prioritätsgrundsatz ist maßgebend, wann die Klage anhängig gemacht wurde und damit die Rechtshängigkeit im autonomen Sinne des Art. 30 Ziff. 1 EuGVVO eintrat, da die Einreichung des bestimmenden Schriftsatzes bei Gericht genügt, wenn die Klägerin es in der Folge nicht versäumt hat, die ihr obliegenden Maßnahmen zu treffen, um die Zustellung des Schriftstückes an die Beklagte zu bewirken.

2. Das erkennende deutsche Gericht hat die Frage, ob die im ausländischen Prozess veranlasste Zustellung nach dem ausländischen Recht wirksam war und deshalb eine zeitlich frühere Anhängigkeit i.S.d. Art. 27 Abs. 1, 30 Nr. 1 EuGVVO begründet hat, auf der Basis des ausländischen Prozessrechts eigenverantwortlich und ohne Bindung an etwaige Feststellungen des ausländischen Gerichts zu prüfen. Das italienische Prozessrecht hat jedoch die höherrangigen Vorgaben des Europäischen Rechts aus Art. 14 VO Nr. 1348/2000 - zu beachten, nachdem die Bundesrepublik Deutschland von der Kompetenz des Art. 14 Abs. 2 VO Nr. 1348/2000 Gebrauch gemacht und die Bedingungen festgelegt hat, unter denen sie eine Zustellung gerichtlicher Schriftstücke durch die Post zulässt.

3. Für Art. 23 EuGVVO gelten die gleichen Anforderungen, die der BGH und der EuGH bereits für die Vorgängerregelung des Art. 17 EuGVÜ festgelegt hatten. Danach reicht der einseitige Hinweis auf AGB nur aus, wenn die Gegenpartei deren Geltung ausdrücklich zustimmt, denn die Formerfordernisse unterliegen der vertragsautonomen Interpretation, sind eng auszulegen und sollen gewährleisten, dass sich die Einigung zwischen den Parteien zweifelsfrei feststellen lässt.

 

Normenkette

EuGVVO Art. 5 ff., Art. 23 Abs. 1b), Art. 27, 30 Ziff. 1; Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 Art. 4 Abs. 1. Art. 4 Abs. 3; Verordnung Art. 8, 14; ZPO §§ 183, 280 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Karlsruhe (Urteil vom 27.07.2005; Aktenzeichen 13 O 101/03 KfH I)

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Zwischenurteil des LG Karlsruhe - 13 O 101/03 KfH I - vom 27.7.2005 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

V. Der Berufungsstreitwert wird auf 15.389,89 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Klägerin, die ihren Sitz in Karlsruhe hat, macht gegen die Beklagte, eine italienische Gesellschaft mit Sitz in Gallerate/Italien, eine Kaufpreisforderung i.H.v. 15.389,89 EUR für die Lieferung von Industriepumpen klageweise geltend.

Zwischen den Parteien fand am 7.5.2001 in Karlsruhe in englischer Sprache eine Geschäftsverhandlung statt, zu deren - zwischen den Parteien teilweise streitigen - Verlauf und Ergebnis die Beklagte durch ein Fax vom 8.5.2001 (Anlage B 1) an die Klägerin Stellung nahm.

In diesem, in englischer Sprache abgefassten Fax heißt es u.a. unter Ziff. 8:

"For the shipment please use: SUP T.F. tel. 0... - fax 0... - reference M.-Transport"

Der Verhandlung der Parteien vom 7.5.2001 lag ein Preisangebot der Klägerin an die Beklagte (Anlage K 19, 1d) zugrunde, das die Erklärung: "Delivery ex works Karlsruhe" enthielt.

Die Beklagte, die anstrebte, nach einer Probezeit bis Ende 2001 ab 2002 alleiniger Vertriebspartner der Klägerin in Italien zu werden, bestellte bei der Klägerin verschiedentlich Pumpen, die vom Sitz der Klägerin durch die deutsche Spedition SUP T. GmbH F. nach Norditalien verbracht und von dort durch die italienische Spedition M.-Transport bei der Beklagten ausgeliefert wurden.

Wegen der Einzelheiten der Bestellungen, Lieferscheine, Auftragsbestätigungen und Rechnungen wird auf die Anlagen K 4-K 14 und auf das Anlagenkonvolut K 19 Bezug genommen.

Die letzte Lieferung der Klägerin an die Beklagte erfolgte am 21.9.2001.

In der hierauf bezogenen Rechnung der Klägerin vom 24.9.2001 (Anlage K 13) sind u.a. die Pumpen umfasst, deren Bezahlung die Klägerin von der Beklagten begehrt.

Im September 2001 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie eine andere italienische Firma mit ihrer Alleinvertretung in Italien beauftragt habe, worauf die Geschäftsbeziehung der Parteien abbrach.

Die Beklagte verlangte darauf von der Klägerin Schadensersatz und forderte diese unter dem 3.12.2001 zur Rücknahme der noch bei ihr vorhandenen Pumpen auf. Sodann erhob die Beklagte gegen die Klägerin beim Tribunale in Busto/Arsizio/Italien Klage, mit der er sie u.a. die Feststellung begehrt, dass die Klägerin zur Rücknahme der Pumpen ihrer Produktion verpflichtet ist, die sich derzeit noch in den Lagerräumen der Beklagten befinden. Mit Klageschrift vom 18.12.2001 beantragte die Beklagte, die Klägerin vor das Gericht von Busto/Arsizio zu laden. Ein an das AG Freiburg gerichteter Zustellungsantrag der Beklagten wurde am 29.1.2002 (Anlage K 16) als verordnungswidrig zurückgewiesen.

In der Verhandlung vom 18.9.2002 bewilligte das italienische Gericht die erneute Zustellung der Klageschrift. Die im November 2001 von der Beklagten hierauf veranlasste Zustellung ging der Klägeri...

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