Entscheidungsstichwort (Thema)

Leistungseinschränkung in der privaten Krankenversicherung - Kostenerstattung für künstliche Befruchtung nur für verheiratete Paare

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die organisch bedingte Unfruchtbarkeit ist eine Krankheit im Sinne der privaten Krankenversicherungsbedingungen (BGH, Urteil vom 17.12.1986 - IVa ZR 78/85).

2. Eine in den Versicherungsbedingungen statuierte Beschränkung der Kostenerstattung für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung bei organisch bedingter Unfruchtbarkeit allein auf verheiratete Versicherungsnehmer - mit der Maßgabe, dass ausschließlich Ei- und Samenzellen des Ehegatten verwendet werden dürfen - ist gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam, da die Differenzierung zwischen verheirateten und unverheirateten Versicherungsnehmern willkürlich ist.

3. Eine in den Versicherungsbedingungen statuierte Beschränkung der Kostenerstattung auf bis zu drei Behandlungszyklen ist wirksam.

4. Im Rahmen einer künstlichen Befruchtung sind auch die Kosten für nach dem Embryonenschutzgesetz zulässige Maßnahmen der PID und PKD dann erstattungsfähig, wenn eine chromosomale Veränderung beim Versicherungsnehmer zu einem stark erhöhten Abortrisiko führt, und mit den genannten Maßnahmen dieser Einschränkung der Fortpflanzungsfähigkeit entgegengewirkt wird.

5. Zum Begriff der "organisch bedingten Sterilität" in den Versicherungsbedingungen der privaten Krankenversicherung.

 

Normenkette

VVG § 192; BGB § 307; SGB V § 27a

 

Verfahrensgang

LG Mannheim (Urteil vom 31.03.2017; Aktenzeichen 9 O 282/15)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 31.03.2017, Az. 9 O 282/15, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, 11.771,07 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 16.12.2015 an die Klägerin zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin im tariflichen Umfang die Gesamtkosten für bis zu zwei weitere Behandlungszyklen der IVF/ICSI nebst Behandlungsmaßnahmen zum Ausschluss genetischer Schädigungen zu erstatten, sofern die Erfolgsaussicht hinsichtlich eines jeden Behandlungszyklus wenigstens 15 % bezogen auf den Eintritt einer klinischen Schwangerschaft beträgt und nicht ein vorhergehender Zyklus bereits zur Geburt eines Kindes geführt hat.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die weitergehende Berufung der Klägerin und die Anschlussberufung der Beklagten werden zurückgewiesen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin zu 48 % und die Beklagte zu 52 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin zu 23 % und die Beklagte zu 77 %.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beide Parteien können die Vollstreckung gegen die jeweils andere Partei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

5. Die Revision gegen dieses Urteil wird für die Beklagte zugelassen.

 

Gründe

I. Die am ... (1981) geborene Klägerin unterhält bei der Beklagten eine private Krankheitskostenversicherung zum Tarif CCLS20. Nach den dem Vertrag zugrunde liegenden Tarifbedingungen (Teil II der allgemeinen Versicherungsbedingungen, Anlage K 2) bietet die Beklagte Versicherungsschutz wie folgt:

"§ 1 Teil I

(1) Der Versicherer bietet Versicherungsschutz für Krankheiten, Unfälle und andere im Vertrag genannte Ereignisse...

(2) Versicherungsfall ist die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen..."

Zum Umfang der Leistungspflicht zählen gemäß § 4 Teil II Nr. 6 auch die Kosten für eine künstliche Befruchtung; hierin heißt es:

"Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung aufgrund von organisch bedingter Sterilität der versicherten Person sind erstattungsfähig, soweit die Behandlungen und Untersuchungen an der versicherten Person durchgeführt werden. Finden zu diesem Zweck Behandlungen und Untersuchungen an dem nicht sterilen Ehegatten der versicherten Person statt, sind diese nur erstattungsfähig, wenn für den Ehegatten eine Krankheitskostenvollversicherung bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen besteht und nur soweit der dort bestehende Versicherungsvertrag keinen Versicherungsschutz für die Behandlungen und Untersuchungen bietet.

Der Anspruch besteht nur, sofern die versicherte Person verheiratet ist und ausschließlich Ei- und Samenzellen der Ehegatten verwendet werden. Zum Zeitpunkt der Durchführung der Maßnahmen darf die Ehefrau das 40. Lebensjahr und der Ehemann das 50. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.

Erstattungsfähig sind bei einer hinreichenden Erfolgsaussicht die Aufwendungen für bis zu drei Behandlungsversuche.

Kosten für eine Kryokonservierung werden nicht erstattet."

Die Klägerin und ihr am ... (1980) geborener Ehemann haben Kinderwunsch. Die Klägerin war im Jahr 2014 bereits einmal schwanger. Das Kind war genetisch geschädigt, so dass ein Schwangerscha...

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