Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsschließungsversicherung bei Schließung in Folge der Corona-Pandemie

 

Leitsatz (amtlich)

1. Nehmen Versicherungsbedingungen einer Betriebsschließungsversicherung mehrfach auf das Infektionsschutzgesetz (IfSG) Bezug und bestimmen diese eine Entschädigungspflicht für eine Betriebsschließung "beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2)", wobei der in dieser Nr. 2 enthaltene Katalog abschließend zu verstehen ist, so ist die den abschließenden Katalog enthaltende Klausel wegen Verstoß gegen das Transparenzgebot in § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam (im Anschluss an Senat, Urteil vom 30.06.2021 - 12 U 4/21).

2. Dies gilt auch, wenn der Katalog von Krankheiten und Krankheitserregern den Auflistungen in §§ 6, 7 IfSG zum Zeitpunkt des Standes der Versicherungsbedingungen entspricht, nach der Fassung der Vorschriften zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses aber weitere, im Katalog nicht enthaltene Krankheiten und Krankheitserreger meldepflichtig waren. Unabhängig hiervon wird auch nicht deutlich, dass der Versicherungsschutz mit einem abschließenden Katalog maßgeblich von dem Verständnis meldepflichtiger Krankheiten und Krankheitserreger des Infektionsschutzgesetzes abweicht.

3. Aufgrund der Unwirksamkeit der Klausel besteht Versicherungsschutz für eine bedingungsgemäße Betriebsschließung auch aufgrund des Auftretens von Krankheiten und Krankheitserregern, die von den Generalklauseln in § 6 und § 7 IfSG erfasst werden. Diese Generalklauseln schließen die Krankheit COVID-19 bzw. den Krankheitserreger SARS-CoV-2 mit ein (im Anschluss an Senat, Urteil vom 30.06.2021 - 12 U 4/21).

4. Die Schließung von Gaststätten durch die Corona-Verordnung in Baden-Württemberg stellt eine zumindest faktische Betriebsschließung dar. Ein noch erlaubter Außer-Haus-Verkauf steht nicht entgegen, wenn dieser zuvor für die Gaststätte eine wirtschaftlich nur ganz untergeordnete Bedeutung hatte.

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 18.01.2023; Aktenzeichen IV ZR 359/21)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Heidelberg vom 02.03.2021, Az. 2 O 250/20, im Kostenpunkt aufgehoben und abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 9.903,90 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.04.2020 zu zahlen.

Die Beklagte wird weiter verurteilt, den Kläger von den Kosten des vorprozessualen Tätigwerdens der Prozessbevollmächtigten des Klägers in Höhe von 745,40 EUR freizustellen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

5. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten über Ansprüche aus einer Betriebsschließungsversicherung.

Der Kläger betreibt eine Gaststätte in I. Im Frühjahr 2015, vor der Eröffnung der Gaststätte im April 2015, schlossen die Parteien unter der Versicherungsscheinnummer ... einen Versicherungsvertrag, der unter anderem auch eine Betriebsschließungsversicherung ("Genuss-Police") beinhaltete. Versicherungsbeginn war im Frühjahr 2015.

Der Betriebsschließungsversicherung liegen die "Zusatzbedingungen für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden infolge Infektionskrankheiten aufgrund behördlicher Anordnung nach dem Infektionsschutzgesetz (Betriebsschließung) / Genuss-Police - Fassung 2009 -" (Anlage B 1, i.F.: "ZB-BSV") zugrunde, die den Stand "01.07.2009" aufweisen. Darin heißt es unter anderem:

"§ 1 Gegenstand der Versicherung, versicherte Gefahren

1. Versicherungsumfang

Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2)

a) den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt; Tätigkeitsverbote gegen sämtliche Betriebsangehörige eines Betriebes oder einer Betriebsstätte werden einer Betriebsschließung gleichgestellt;

[...]

2. Meldepflichtige Krankheiten oder Krankheitserreger

Meldepflichtige Krankheiten oder Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten oder Krankheitserreger

a) Krankheiten

[es folgt eine Aufzählung von 18 Krankheiten, welche COVID-19 (und andere Coronavirus-Erkrankungen) nicht enthält]

b) Krankheitserreger

[es folgt eine Aufzählung von 49 Krankheitserregern, welche SARS-CoV-2 (und andere Coronaviren) nicht enthält]

§ 2 Umfang der Entschädigung

[...]

3. Entschädigungsb...

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