Entscheidungsstichwort (Thema)

Auswirkungen einer betrieblichen Umorganisation auf die Berufsunfähigkeit des mitarbeitenden Betriebsinhabers

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Berufsunfähigkeit eines mitarbeitenden Betriebsinhabers kann entfallen, wenn sich durch eine betriebliche Umorganisation neue Tätigkeitsbereiche für den Versicherten ergeben. Auf ein nachträgliches Entfallen seiner Leistungspflicht kann sich der Versicherer allerdings nur dann berufen, wenn die maßgeblichen Umstände - Umorganisation des Betriebes oder zumutbare Möglichkeit einer Umorganisation - nach dem ursprünglichen Anerkenntnis des Versicherers eingetreten sind.

2. Betriebliche Veränderungen, die dem mitarbeitenden Betriebsinhaber neue Tätigkeitsbereiche eröffnen, stehen der Berufsunfähigkeit nur dann entgegen, wenn der Versicherte auf Grund vertraglicher Obliegenheiten oder auf Grund seiner Schadensminderungspflicht gegenüber dem Versicherer verpflichtet war, diese Veränderungen herbeizuführen. Zum Erwerb eines anderen Unternehmens (hier: Erwerb eines Busunternehmens durch einen Transportunternehmer) ist der Versicherte in der Regel nicht verpflichtet.

 

Normenkette

VVG §§ 173-174

 

Verfahrensgang

LG Waldshut-Tiengen (Urteil vom 21.01.2015; Aktenzeichen 1 O 105/11)

 

Tenor

Der Senat erwägt eine Zurückweisung der Berufung der Beklagten gegen das Urteil des LG Waldshut-Tiengen vom 21.01.2015 - 1 O 105/11 - gemäß § 522 Abs. 2 ZPO. Die Parteien erhalten vor einer Entscheidung Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen.

 

Gründe

I. Der Kläger macht Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung geltend.

Der am 17.10.1969 geborene Kläger schloss im Jahr 1991 bei der damaligen Ö. Versicherungsanstalt eine Lebensversicherung mit Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung ab. Die Beklagte ist Rechtsnachfolgerin der Ö.. Die vertraglichen Vereinbarungen ergeben sich aus dem Versicherungsschein vom 08.07.1991 (Anlage K 2) und den Allgemeinen Bedingungen für die kapitalbildende Lebensversicherung mit Berufsunfähigkeitsschutz (BUZ, Anlage K 3). Im Fall der Berufsunfähigkeit sollte eine Jahresrente in Höhe von 6.000,00 DM gezahlt werden, wobei die Zahlungen vierteljährlich erfolgen sollten. Die Rente sollte sich durch Überschussanteile im Laufe der Zeit erhöhen. Als Versicherungsprämie war ein Betrag von anfänglich 236,00 DM vereinbart, der einer Dynamisierung unterliegen sollte.

Der Kläger ist ausgebildeter Kfz-Mechaniker. Er war zunächst im Transportbetrieb seines Vaters als Kraftfahrer tätig. Im Jahr 2001 übernahm er das Unternehmen seines Vaters, welches mehrere Fahrer in Vollzeit beschäftigte. Auch als Unternehmensinhaber war der Kläger überwiegend als Fahrer von Kraftfahrzeugen im Gütertransport tätig, wozu auch das Be- und Entladen der Fahrzeuge gehörte. Die Disposition der Fahrzeuge und die kaufmännischen Arbeiten wurden überwiegend von der im Betrieb mitarbeitenden Ehefrau des Klägers erledigt.

In den Jahren 2003 und 2004 erlitt der Kläger bei zwei Unfällen Verletzungen der Wirbelsäule. Die Verletzungen führten zu erheblichen körperlichen Beeinträchtigungen. Gegenüber der Beklagten machte der Kläger geltend, er könne seine bisherige berufliche Tätigkeit als Kraftfahrer aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr oder nur noch sehr eingeschränkt ausüben.

Mit Schreiben vom 25.04.2008 (Anlage K 6) bestätigte die Beklagte dem Kläger, dass sie "nach Durchsicht aller vorliegenden Unterlagen" die versicherten Leistungen rückwirkend ab dem 01.11.2007 erbringen werde. Die Beklagte zahlte die vereinbarte Berufsunfähigkeitsrente bis zum 30.09.2011; zuletzt betrug die Jahresrente 13.362,34 EUR.

Bereits im Jahr 2009 begann die Beklagte, das Fortbestehen der Berufsunfähigkeit des Klägers zu überprüfen. Sie forderte in diversen Schreiben den Kläger immer wieder auf, Auskünfte zu erteilen und bestimmte Unterlagen beizubringen. Die Aufforderungen der Beklagten wurden vom Kläger - im Wesentlichen - beantwortet.

Mit Schreiben vom 02.03.2011 (Anlage K 18) drohte die Beklagte eine Einstellung ihrer Leistungen an. Sie hatte den Kläger aufgefordert, eine "Entbindung von der Schweigepflicht" zu unterschreiben. Der Kläger sollte die Beklagte ermächtigen, bei Behörden und Gerichten "Informationen über Inhalt und Umfang" des vom Kläger geführten Betriebes anzufordern zur Überprüfung seines Leistungsanspruchs. Dieser Aufforderung war der Kläger nur teilweise nachgekommen. Eine "Entbindung von der Schweigepflicht" gegenüber der S. Bus AG, welche dem Unternehmen des Klägers im Rahmen einer ständigen Geschäftsbeziehung Aufträge für Busfahrten erteilte, hatte der Kläger nicht unterschrieben. Zum 01.10.2011 stellte die Beklagte ihre Zahlungen an den Kläger ein.

Der Kläger hat vor dem LG eine Fortzahlung der Berufsunfähigkeitsrente für die Zeit ab Oktober 2011 verlangt. Die Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, die Zahlungen einzustellen.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Eine Leistungspflicht sei nach den vertraglichen Vereinbarungen zum einen entfallen, weil der Kläger im Rahmen de...

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