Entscheidungsstichwort (Thema)

Schuldrechtliches Wohnungsrecht im Kaufvertrag über ein Hausanwesen: Ergänzende Vertragsauslegung im Falle der Pflegebedürftigkeit des Veräußerers; Zubilligung einer Ersatzrente und Zumutbarkeit der Vermietung des Wohnhauses an einen Dritten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Wird beim Verkauf eines Wohnhauses schuldrechtlich ein lebenslängliches Wohnungsrecht für den Verkäufer vereinbart, so kommt eine ergänzende Vertragsauslegung in Betracht, wenn der Verkäufer pflegebedürftig wird, und daher die ihm zugewiesene Wohnung nicht mehr nutzen kann. Das Wohnungsrecht kann in diesem Fall eine Ersatzrente rechtfertigen, die sich an den Maßstäben in § 14 Abs. 2 AGBGB Baden-Württemberg orientiert (Rz. 19)(Rz. 21).

2. Ein schuldrechtliches Wohnungsrecht ist - anders als ein dingliches Wohnungsrecht - nicht ohne weiteres auf eine persönliche Nutzung der Wohnung durch den Berechtigten beschränkt. Die zur ergänzenden Vertragsauslegung bei dinglichen Wohnungsrechten von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze sind daher nicht uneingeschränkt auf ein schuldrechtliches Wohnungsrecht übertragbar (Rz. 28)(Rz. 31)(Rz. 32).

 

Normenkette

BGB §§ 133, 157, 242, 311, 311b, 415 Abs. 1, §§ 1092-1093, 1105; BGBAG BW § 14 Abs. 2; ZPO § 114

 

Verfahrensgang

LG Waldshut-Tiengen (Beschluss vom 13.07.2010; Aktenzeichen 2 O 79/10)

 

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des LG Waldshut-Tiengen vom 13.7.2010 - 2 O 79/10 - aufgehoben.

2. Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug unter Beiordnung von Rechtsanwältin W., L. bewilligt. Der Antragsteller hat auf die bewilligte Prozesskostenhilfe keine Zahlungen an die Landeskasse zu entrichten.

 

Gründe

I. Der am 31.5.1937 geborene Antragsteller war gemeinsam mit seiner Ehefrau Eigentümer eines landwirtschaftlichen Anwesens in ... B. Mit notariellem Veräußerungsvertrag vom 1.3.1978 verkauften der Antragsteller und seine Ehefrau die betreffenden Grundstücke, auf denen sich auch ein Wohnhaus befand, an die Eheleute Toni und Willi P. (im Folgenden: Erwerber). Die Erwerber verpflichteten sich, einen Kaufpreis von 45.000 DM zu zahlen. Außerdem übernahmen sie die Verpflichtung, dem Antragsteller und seiner Ehefrau bis zum Tod des Letztversterbenden eine monatliche Rente i.H.v. 200 DM, die an den Preisindex für die Lebenshaltung angepasst werden sollte, zu zahlen. Im Übrigen vereinbarten die Beteiligten in dem notariellen Vertrag ein schuldrechtliches Wohnungsrecht für den Antragsteller und seine Ehefrau, welches im Einzelnen näher konkretisiert wurde. Das schuldrechtliche Wohnungsrecht und die wertgesicherte Rente wurden durch eine Reallast dinglich gesichert.

Mit notariellem Vertrag vom 30.11.1993 veräußerten die Erwerber die betreffenden Grundstücke an die Antragsgegner. Die Antragsgegner übernahmen die zugunsten des Antragstellers und seiner Ehefrau bestehenden Reallasten. Außerdem übernahmen die Antragsgegner die mit den Reallasten verbundenen persönlichen Verpflichtungen (wertgesicherte Rente und schuldrechtliches Wohnungsrecht).

Die Ehefrau des Antragstellers verstarb im November 2008. Das an die Antragsgegner veräußerte Anwesen wurde im November 2008 durch einen Brand zerstört. Der Antragsteller konnte die ihm bis dahin in dem Anwesen zur Verfügung stehende Wohnung nach dem Brand nicht mehr nutzen. In einem gerichtlichen Vergleich vom 19.5.2009 (LG Waldshut-Tiengen - 2 O 89/09) verpflichteten sich die Antragsgegner, ab Dezember 2008 an den Antragsteller einen monatlichen Betrag i.H.v. 155 EUR zu zahlen. Diese Zahlungen sollten ein Ausgleich dafür sein, dass die Antragsgegner nach dem Brand dem Antragsteller keine Wohnung zur Verfügung stellen konnten. Die Zahlungsverpflichtung sollte enden, sobald das Haus wieder hergestellt war, und der Antragsteller in dem Haus wieder eine Wohnung beziehen konnte.

Mit Schreiben vom 28.12.2009 teilten die Antragsgegner dem Antragsteller mit, ab 1.1.2010 stehe für den Antragsteller im Anwesen wieder eine Wohnung zur Verfügung. Die im Vergleich vom 19.5.2009 vereinbarten Zahlungen i.H.v. monatlich 155 EUR stellten die Antragsgegner ab Januar 2010 ein. Der Antragsteller war jedoch aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage, die Wohnung zu beziehen. Er ist pflegebedürftig und lebt inzwischen in einem Pflegeheim.

Der Antragsteller ist der Auffassung, die Antragsgegner seien verpflichtet, ihm für die Zeit ab Januar 2010 einen monatlichen Betrag i.H.v. jeweils 220 EUR zu zahlen. Dies ergebe sich aus der von den Antragsgegnern übernommenen schuldrechtlichen Verpflichtung, ihm eine Wohnung in dem betreffenden Anwesen in ... B. zur Verfügung zu stellen. Da er die Wohnung wegen Pflegebedürftigkeit nicht mehr nutzen könne, seien die Antragsgegner verpflichtet, ihm den Wert der Wohnungsnutzung in Geld auszuzahlen. Die Verpflichtung ergebe sich im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung aus dem schuldrechtlich vereinbarten Wohnungsrecht. Es sei den Antragsgegnern ohne weiteres möglich, die nunmehr leer ...

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