Verfahrensgang

AG Karlsruhe (Entscheidung vom 11.08.2014; Aktenzeichen 8 Cs 410 Js 14926/14)

 

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Karlsruhe vom 11. August 2014 - 8 Cs 410 Js 14926/14 - mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Karlsruhe zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Karlsruhe hat den Angeklagten mit Urteil vom 11.08.2014 wegen Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen zu der Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu jeweils 10.- € verurteilt und hierzu festgestellt:

"Am 13.032014 gegen 18.20 Uhr wurde der Angeklagte durch die Polizeibeamten PHM M. und POK L. am Karlsruher Hauptbahnhof einer allgemeinen polizeilichen Kontrolle unterzogen. Im Zuge dessen zeigte er sich unkooperativ und sollte zur Personalienfeststellung in die Polizeiwache verbracht werden. Auf dem Weg dorthin beleidigte er den Beamten L. mit den Worten ›Halt die Fresse". Bei der anschließenden Durchsuchung auf der Wache äußerte er gegenüber den Polizeibeamten noch die Worte "Du bist eine Nummer" und "Für sowas wie euch bezahle ich meine Steuern". Dabei handelte der Angeklagte in der Absicht, seine Missachtung gegenüber den Polizeibeamten auszudrücken. Strafanträge wurden form- und fristgerecht gestellt."

Gegen dieses Urteil richtet sich die form- und fristgerecht unbeschränkt eingelegte, auf die allgemeine Sachrüge gestützte Sprungrevision des Angeklagten.

II.

Das Rechtsmittel hat - vorläufigen - Erfolg.

Die vom Amtsgericht getroffenen, oben wörtlich wiedergegebenen Feststellungen sind lückenhaft sowie nicht ausreichend, den Schuldspruch wegen Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen - das Amtsgericht sieht in allen drei festgestellten Äußerungen jeweils den Tatbestand der Beleidigung i.S.d. § 185 StGB verwirklicht - in einer den Schuldumfang hinreichend deutlich werden lassenden Weise zu tragen.

Beleidigung i.S.d. § 185 StGB ist die Kundgabe von Nichtachtung oder Missachtung gegenüber einem anderen in der Weise, dass dem Betroffenen - sei es durch Äußerung eines herabsetzenden Werturteils unmittelbar diesem gegenüber, sei es durch Äußerung eines solchen in Bezug auf diesen einer dritten Person gegenüber - der ethische, personale und soziale Geltungswert ganz oder teilweise abgesprochen und dadurch dessen grundsätzlich uneingeschränkter Ehr- und Achtungsanspruch verletzt oder gefährdet wird (BGHSt 1, 288; 11, 67; 36, 145; Lenckner/Eisele in Schönke-Schröder StGB 29. Aufl. § 185 Rdnr. 2 m.w.N.). Ob eine Äußerung beleidigenden Inhalt hat, ist unter Berücksichtigung aller das Tatgeschehen maßgeblich prägenden äußeren und - soweit diese nach außen erkennbar geworden sind - inneren Umstände des Einzelfalls - insbesondere der Anschauungen und sprachlichen Gebräuche der Beteiligten, der sprachlichen und gesellschaftlichen Ebene sowie der konkreten Situation, in der die Äußerung getätigt wurde, der Art der Beziehung zwischen den Beteiligten sowie des Gewichts, dass dem Vorgang beizumessen ist - allein nach deren durch Auslegung zu ermittelndem objektivem Sinngehalt zu bestimmen. Maßstab für die insoweit vorzunehmende Auslegung ist, wie ein alle maßgeblichen tatprägenden Umstände kennender unbefangener verständiger Dritter die Äußerung versteht. Auf die subjektive Sicht und Bewertung des Adressaten sowie auf nach außen nicht hervorgetretene Vorstellungen, Absichten und Motive des sich Äußernden kommt es nicht an (BGHSt 19, 235; Senat NStZ 2005, 158 sowie Urteil v. 19.07.2012 - 1(8)Ss 64/12 - AK 40/12 - in [...]; Lenckner/Eisele a.a.O. § 185 Rdnr. 8; Fischer StGB 62. Aufl. § 185 Rdnr. 8 - jew. m.w.N.). Bloße Ungehörigkeiten, Distanzlosigkeiten, Taktlosigkeiten und auch grobe Unhöflichkeiten im Umgang mit anderen stellen noch keine Missachtung i.S.d. § 185 StGB dar. Vielmehr muss eine eindeutige Abwertung des Betroffenen mit einem gewissen Gewicht vorliegen (Lenckner/Eisele a.a.O.). Lassen der sprachliche Zusammenhang und die bestimmenden außertextlichen Begleitumstände der inkriminierten Äußerung mehrere Auslegungen zu, sind alle in Frage kommenden, nicht von vornherein fernliegenden alternativen Deutungsmöglichkeiten in Betracht zu ziehen (BVerfGE 93, 266; BVerfG NJW 1990, 383; 2001, 3613; 2002, 3315; BayObLG NJW 2005, 1291). Dabei ist bereits bei der Prüfung und Bewertung der objektiven Tatbestandsmäßigkeit der Beleidigung der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1" Satz 1 GG) Rechnung zu tragen (BVerfG a.a.O.). Lässt der durch Auslegung zu ermittelnde objektive Sinngehalt einer Äußerung eine Deutung zu, welche diese auch unter Beachtung des und in Abwägung mit dem gleichermaßen grundrechtlich gewährleisteten kollidierenden Ehr- und Achtungsanspruch des Betroffenen unter den Schutzbereich des Art, 5 Abs. 1 Satz 1 GG stellt und damit bereits die Tatbestandsmäßigkeit der Beleidigung entfallen lässt, ist dieser Deutung grundsätzlich und regelmäßig der...

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