Entscheidungsstichwort (Thema)

Kafir. Ungläubiger. Islam. Apostasie. Beleidigung

 

Leitsatz (amtlich)

Zur strafbaren Beleidigung durch die Bezeichnung als "Kafir" (Ungläubiger im Islam).

Die Bezeichnung eines anderen als "Kafir" kann den Tatbestand der Beleidigung (§ 185 StGB) erfüllen, weil dieser Begriff regelmäßig eine abwertende Bezeichnung für jemanden ist, der nicht dem islamischen Glauben angehört. Ein solches, den Tatbestand der Beleidigung erfüllendes Werturteil, kann jedoch wegen Wahrnehmung berechtigter Interessen gemäß § 193 StGB gerechtfertigt sein, insbesondere wenn es im Rahmen der öffentlichen Meinungsbildung geäußert wird und damit in den Schutzbereich des Grundrechts auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG fällt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Begriff "Kafir" verschiedene Bedeutungsmöglichkeiten haben kann, die sich in ihrer Schwere des Angriffs auf das Persönlichkeitsrecht des Adressaten deutlich unterscheiden. So kann "Kafir" unter anderem eine Person bezeichnen, die noch nie der islamischen Religion angehörte (Kafir asli), wie beispielsweise ein Christ oder Jude, oder auch eine Person, die vom islamischen Glauben abgefallen ist (Murtadd). Der Tatrichter muss sich deshalb grundsätzlich mit den verschiedenen Deutungsmöglichkeiten des Begriffs "Kafir" auseinandersetzen und in rechtsfehlerfreier Weise diejenigen ausscheiden, die nicht zur Bestrafung führen können. Er darf dem Begriff "Kafir" nicht ohne Weiteres den objektiven Sinngehalt einer der Apostasie im Islam (Abfall vom Glauben) schuldigen und damit todeswürdigen Person beimessen und auf dieser Grundlage eine Rechtfertigung nach § 193 StGB verneinen. Denn der Apostasie kann nur ein "Murtadd", nicht aber ein "Kafir asli" schuldig sein. Darüber hinaus erscheint es keineswegs zwingend, dass Apostasie im Islam - in jedem Fall und ohne Weiteres - als todeswürdig angesehen wird. Die Erörterung anderer Deutungsmöglichkeiten des Begriffs "Kafir" als die einer todeswürdigen Person kann sich aber erübrigen, wenn festgestellt ist, dass es sich bei dem Täter - in einer den objektiven Sinngehalt der Äußerung bestimmenden Weise - erkennbar um einen - radikalen - Islamisten handelt, von dem in aller Regel angenommen werden kann, dass er den Begriff "Kafir" gegenüber Andersdenkenden nur in diesem Sinne gebraucht.

 

Normenkette

StGB §§ 193, 185; GG Art. 5 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

AG Karlsruhe (Entscheidung vom 24.04.2019; Aktenzeichen 7 Cs 530 Js 44946/18)

 

Tenor

  1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Karlsruhe vom 24. April 2019 (7 Cs 530 Js 44946/18) aufgehoben.
  2. Der Angeklagte wird freigesprochen.
  3. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.
 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Karlsruhe hat den Angeklagten wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 35 Tagessätzen zu je 10 € verurteilt und hierzu festgestellt:

Am 13.04.2018 stellte der Betreiber der Facebook-Seite X einen Aufruf in sein Profil ein, um Unterschriften gegen ein vermeintliches geplantes Kopftuchverbot zu sammeln. Anlass dafür war eine Äußerung des Psychologen Ahmad Mansour, der das von Kindern erzwungene Tragen eines Kopftuchs als eine Art des Missbrauchs bezeichnete und daher ein Verbot des Kopftuchs für ein ideologiefreies Aufwachsen der Kinder ohne Geschlechtertrennung und Sexualisierung forderte.

Aus Verärgerung über diese Aussage schrieb der Angeklagte am 14.04.2018 unter diesen Aufruf mit seinem damaligen Facebook-Account Y von seiner Wohnadresse in A aus über den Z: "Du kafir was für islamexperte islamkritiker kafir". Dem Angeklagten war dabei bewusst, dass der Begriff "Kafir" ein auf die Persönlichkeit des Angesprochenen zielender abwertender Begriff ist. Er bezeichnet den Unglauben bzw. den Abfall vom Glauben (Apostasie). Im Islam ist die Apostasie ein todeswürdiges Verbrechen, das zum Ausschluss des Abgefallenen aus der muslimischen Gesellschaft führt (Takfir). Beim Posten dieses Beitrages ging es dem Angeklagten entsprechend seines Wissens darum, über die sachliche Kritik an Z hinaus diesen in seiner Persönlichkeit anzugreifen und ihn in seiner Ehre herabzusetzen.

Hiergegen richtet sich die Sprungrevision des Angeklagten.

II.

Das Rechtsmittel hat auf die erhobene Sachrüge hin Erfolg.

1. Das Urteil des Amtsgerichts leidet an einer unzulänglichen Prüfung des Erklärungsinhalts der inkriminierten Äußerung.

a. Die Auslegung, ob und inwieweit eine Äußerung nach ihrem - allein maßgeblichen - objektiven Erklärungsinhalt ehrverletzenden Charakter hat, ist zwar allein Sache des Tatrichters. Dem Revisionsgericht, dem - ebenso wie bei der Beweiswürdigung - insoweit eine eigene Wertung versagt ist, obliegt allerdings die Prüfung, ob die Auslegung auf Rechtsirrtum beruht, gegen Sprach- und Denkgesetze, Erfahrungssätzen und allgemeine Auslegungsregeln verstößt oder ob sie lückenhaft ist, weil nicht alle tatprägenden Begleitumstände berücksichtigt und nicht alle in Betracht kommenden Deutungsmöglichkeiten geprüft...

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