Leitsatz (amtlich)

1. Zum Vorliegen und zur Abwehr einer Kindeswohlgefährdung bei Zusammenleben einer allein sorgeberechtigten Mutter mit einem wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern vorbestraften Lebensgefährten.

2. Die Inanspruchnahme von Maßnahmen der Hilfe zur Erziehung (Kap. 2, Abschnitt 4 SGB VIII) kann nach § 1666 Abs. 3 Nr. 1 BGB auch mit Blick darauf angeordnet werden, dass die eingesetzten Fachkräfte - neben ihrem Unterstützungsauftrag und unabhängig von einem ausdrücklichen "Kontrollauftrag" - die Funktion haben werden, durch Gewährleistung einer externen Beobachtung der Familie einer Kindeswohlgefährdung entgegenzuwirken.

 

Nachgehend

BVerfG (Nichtannahmebeschluss vom 15.12.2020; Aktenzeichen 1 BvR 1395/19)

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde des Jugendamts wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Freiburg vom 16.05.2018 (48 F 59/18) im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Der für T, geboren am ..., allein sorgeberechtigten Mutter M wird aufgegeben,

a. sicherzustellen, dass die noch ausstehenden Gesprächstermine Ts bei der Erziehungsberatungsstelle in ... (Frau E) durchgeführt werden;

b. beim Jugendamt einen Antrag auf Bewilligung von Hilfe zur Erziehung in Form der aufsuchenden systemischen Familienberatung im Umfang von mindestens vier Stunden pro Woche zu stellen und mit den die Beratung vornehmenden Personen zusammenzuarbeiten.

2. Das Jugendamt wird ersucht, das Amtsgericht - Familiengericht - ... (zu Az. 48 F ...) zu informieren, wenn M den unter 1. genannten Geboten nicht nachkommen sollte.

3. Dem weiteren Beteiligten L wird aufgegeben,

a. dem Amtsgericht ... (zu Az. 48 F ...) unverzüglich Mitteilung zu machen, wenn er seinen Arbeitsplatz bei der Fa. ... in ... verliert oder wenn ein solcher Verlust konkret droht;

c. bis auf weiteres in halbjährlichen Abständen sein Blut ärztlich auf CDT-Wert und Leberwerte untersuchen zu lassen und das Ergebnis - erstmals zum 15.08.2019 - dem Amtsgericht - Familiengericht - ... (zu Az. 48 F ...) vorzulegen.

4. Weitergehende sorgerechtliche Maßnahmen sind derzeit nicht veranlasst. T ist an die Mutter M herauszugeben.

II. Gerichtskosten werden in allen Instanzen einschließlich des Rechtsbeschwerdeverfahrens (Bundesgerichtshof XII ZB 408/18) nicht erhoben; außergerichtliche Kosten werden jeweils nicht erstattet.

III. Der Senat regt eine Überprüfung durch das Familiengericht (§ 166 Abs. 2, 3 FamFG) nach drei Monaten an.

IV. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird festgesetzt auf 10.000,00 EUR.

 

Gründe

I. Gegenstand des Verfahrens ist die elterliche Sorge für T.

1. Mit Beschluss vom 03.08.2018 hat der Senat - auf die Beschwerde des Jugendamts gegen den amtsgerichtlichen Beschluss vom 16.05.2018, mit dem sorgerechtliche Maßnahmen nicht getroffen und die Herausgabe Ts an die Mutter angeordnet worden waren - der Mutter M das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht zur Beantragung von Maßnahmen nach dem SGB VIII entzogen. Wegen des zu Grunde liegenden Sachverhalts, der Verfahrensgeschichte bis zum Ergehen dieses Beschlusses und der Gründe für die Entscheidung des Senats wird auf den genannten Beschluss Bezug genommen. Abweichend von der Sachverhaltsdarstellung im Beschluss vom 03.08.2018 steht nunmehr fest, dass der in der Geburtsurkunde von T als Vater eingetragene V die Vaterschaft tatsächlich mit Urkunde des Kreises ... vom 27.11.2007 anerkannt hat und somit auch im Rechtssinne der Vater von T ist. Sorgeberechtigt war er zu keiner Zeit.

2. Mit Beschluss vom 16.10.2018 - rechtskräftig seit 23.10.2018 - hat das Amtsgericht ... die gegen L mit Urteil vom 01.10.2015 verhängte und zur Bewährung ausgesetzte Strafe nach Ablauf der Bewährungszeit erlassen.

Seit Dezember 2018 lebt Ts Bruder B mit Zustimmung seines Vormunds, des Vaters von M, im Haushalt von M und L. Er macht weiterhin eine Ausbildung in einem Metzgereibetrieb.

L wurde am 16.12.2018 wegen eines Meniskusinnenrisses operiert. Die Tätigkeit Ls im Betrieb seines Bruders endete am 15.01.2019 aus wirtschaftlichen Gründen; der Bruder hat zwischenzeitlich seinen Betrieb aufgegeben und befindet sich selbst mittlerweile in abhängiger Beschäftigung. Seit 01.03.2019 ist L vollzeitbeschäftigt in der Elektroabteilung eines Baumarkts (... in ...) tätig. Dem Arbeitgeber ist seine Verurteilung bekannt. Auf Grund der Indiskretion eines Mitarbeiters wurde die Verurteilung auch unter der Belegschaft bekannt, was zeitweise zu Belastungen führte, trotz derer L das Arbeitsverhältnis fortgeführt hat.

3. Mit Beschluss vom 06.02.2019 (XII ZB 408/18) hat der Bundesgerichtshof auf die Rechtsbeschwerde der Mutter den Senatsbeschluss vom 03.08.2018 aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Zur Begründung hat der Bundesgerichtshof im Wesentlichen ausgeführt, dass der Senat sich noch im Rahmen seiner tatrichterlichen Einschätzungsspielräume bewegt habe, soweit er eine Gefährdung des Kindeswohls bejaht und die Fähigkeit der Mutter, diese G...

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