Entscheidungsstichwort (Thema)

Invollzugsetzung eines Haftbefehls bei Verletzung des Beschleunigungsgebots

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Vollzug eines außer Vollzug gesetzten Haftbefehls kann nicht angeordnet werden, wenn annähernd sechs Monate Untersuchungshaft bereits vollzogen sind und die besonderen Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO wegen einer Verletzung des Beschleunigungsgebots nicht vorliegen (hier: etwa sechsmonatige Untätigkeit der Staatsanwaltschaft).

2. Das Beschwerdegericht kann auch dann eine eigene Sachentscheidung treffen, wenn das Landgericht einen Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO in möglicherweise unzutreffender Besetzung erlassen hat.

 

Normenkette

StPO § 116 Abs. 4, § 121 Abs. 1, § 230 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Karlsruhe (Entscheidung vom 09.03.2015; Aktenzeichen 115 Gs 1161/13)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Angeklagten werden der Beschluss des Landgerichts - 1. Große Strafkammer - H. vom 9. März 2015 und der Haftbefehl des Amtsgerichts H. vom 4. November 2013 (115 Gs 1161/13) aufgehoben.

Gegen den Angeklagten H. G., geboren am in H., wohnhaft wird Haftbefehl gemäß § 230 Abs. 2 StPO erlassen.

Der Angeklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen, jedoch wird die Gebühr um die Hälfte ermäßigt. Die Hälfte der notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht H. erließ am 21.5.2013 gegen den nicht vorbestraften mittlerweile 76-jährigen Angeklagten wegen Flucht- und Verdunkelungsgefahr Haftbefehl aufgrund des dringenden Tatverdachts des unerlaubten Erwerbs von Schusswaffen zur Überlassung an Nichtberechtigte in sieben Fällen gemäß §§ 52 Abs. 1 Nr. 2a), Abs. 3 Nr. 1, 34 Abs. 1 Satz 1 WaffG i.V.m. Anlage 2 zum WaffG, Abschnitt 2, Unterabschnitt 1.

Der Angeklagte wurde am 24.5.2013 festgenommen und am Folgetag wurde der Haftbefehl in Vollzug gesetzt. Am 10.10.2013 übergab die Kriminalpolizei H. der Staatsanwaltschaft H. die vollständigen Akten verbunden mit einem 55 Seiten umfassenden Schlussbericht vom 30.9.2013. Das Ermittlungsverfahren richtete sich gegen insgesamt elf Beschuldigte.

Am 21.10.2013 erweiterte das Amtsgericht H. auf Antrag der Staatsanwaltschaft den Haftbefehl gegen den Angeklagten auf 22 Fälle des unerlaubten Erwerbs von Schusswaffen zur Überlassung an Nichtberechtigte. Am 24.10.2013 äußerte sich der Angeklagte zur Sache und räumte die ihm vorgeworfenen Taten - teilweise - ein. Am selben Tag beantragte er Haftprüfung mit dem Ziel der Aufhebung, hilfsweise Außervollzugsetzung des Haftbefehls.

Die Staatsanwaltschaft beantragte am 31.10.2013 den Erlass eines die Tatvorwürfe ändernden Haftbefehls, der vom Amtsgericht H. am 4.11.2013 eröffnet und erlassen wurde. Dem Angeklagten wird hierin vorgeworfen, seit 2010 bis zum 24.5.2013 - dem Tag seiner Festnahme - sich in 17 Fällen Schusswaffen beschafft und an Personen verkauft zu haben, die nicht über die für den Umgang mit Schusswaffen erforderliche behördliche Erlaubnis verfügen und bis zum 30.10.2013 die tatsächliche Gewalt über vier Schusswaffen und weiteres Zubehör ohne die erforderliche Erlaubnis gehabt zu haben. Das Amtsgericht H. bejahte weiterhin die Haftgründe der Flucht- und Verdunkelungsgefahr, setzte allerdings den Haftbefehl unter den Auflagen, sich drei Mal wöchentlich bei der Polizei zu melden, bestimmte Kontaktverbote einzuhalten und eine Sicherheit in Höhe von 3.000 € zu leisten, außer Vollzug. Der Angeklagte war nachfolgend nicht in der Lage die Sicherheitsleistung, die mit Beschluss vom 12.11.2013 auf 1.500 € reduziert worden war, aufzubringen. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft H. beschloss das Amtsgericht H. am 19.11.2013 die Außervollzugsetzung des Haftbefehls vom 4.11.2013 ohne Sicherheitsleistung. Der Angeklagte wurde sodann am 19.11.2013 freigelassen. Die Meldeauflage wurde am 21.8.2014 auf einmal wöchentlich reduziert.

Nach dem am 10.10.2013 der Staatsanwaltschaft vorgelegtem Schlussbericht sind nach Aktenlage noch folgende Ermittlungshandlungen durchgeführt worden:

24.10.2013: polizeiliche Vernehmung des Beschwerdeführers

25.10.2013: polizeiliche Vernehmung des Mitbeschuldigten K.

28./29.10.2013: Erlass eines Haftbefehls und Durchsuchungsbeschlusses gegen den Mitbeschuldigten L.

30.10.2013: polizeiliche Vernehmung des Mitbeschuldigten L.;

Durchsuchung der Wohnung der Mitbeschuldigten F.;

Durchsuchung des Kellerraums der Nachbarin des Angeklagten sowie deren polizeiliche Vernehmung

05.11.2013: Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses betreffend den Angeklagten

07.11.2013: Weitere polizeiliche Vernehmung des Mitbeschuldigten L.

19.11.2013: Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses der Wohnung der nicht beschuldigten Frau M.

21.11.2013: Durchsuchung der Wohnung von Frau M.

27.11.2013: Zeugenvernehmung Frau B.

16.12.2013: Datum des Waffengutachtens der LPD Karlsruhe

23.12.2013: Schriftliche Einlassung der Mitbeschuldigten F.

21.01.2014: Datum eines molekulargenetischen Untersuchungsberichts des LKA Baden-Württemberg

23.01.2014: Neuanlage der Akten seitens der Staatsanwaltschaft;

Abtrennung des Ermittlun...

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