Leitsatz (amtlich)

1. Zu den Voraussetzungen einer nicht ausdrücklich angeordneten Befreiung des Vorerben.

2. Die Einsetzung zum Alleinerben reicht für sich allein nicht aus, um eine Befreiung des Vorerben anzudeuten.

3. Zur Ermittlungspflicht des Nachlassgerichts.

4. In der Weigerung eines die Feststellungslast tragenden Beteiligten, seinen früheren Anwalt von der Verschwiegenheitspflicht zu entbinden, kann eine zu seinem Nachteil zu berücksichtigende Beweisvereitelung liegen.

5. Das Nachlassgericht darf die Verweigerung von der Verschwiegenheitspflicht nicht mit der Begründung als von geringem Gewicht ansehen, es sei davon auszugehen, dass der Zeuge nicht die Wahrheit sagen werde.

6. Die Vorwegnahme der Würdigung eines noch nicht erhobenen Beweises ist unzulässig.

 

Normenkette

BGB §§ 2136, 2358; FGG § 286; ZPO § 383

 

Verfahrensgang

LG Freiburg i. Br. (Beschluss vom 30.11.2004; Aktenzeichen 4 T 145/04)

 

Tenor

1. Auf die weitere Beschwerde des Beteiligten Nr. 2 wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des LG Freiburg vom 30.11.2004 - 4 T 145/04 - aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das LG Freiburg zurückverwiesen.

2. Der Geschäftswert für das Verfahren der weiteren Beschwerde wird auf 27.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.1. Die im Jahr 1909 geborene Erblasserin ist am 5.8.1994 ledig und kinderlos verstorben. Bis zu ihrem Tod lebte sie mit ihrer ebenfalls ledigen und kinderlosen Schwester, der im Jahr 1921 geborenen Beteiligten Nr. 1, zusammen. Der Beteiligte Nr. 2 war seit Ende 1985 oder Anfang 1986 der Hausarzt zunächst der Erblasserin, dann auch - seit 1986 - der Beteiligten Nr. 1. Als weitere Verwandte der Erblasserin und der Beteiligten Nr. 1 sind lediglich die Söhne ihrer beiden vorverstorbenen Geschwister bekannt.

Die Erblasserin hat zwei eigenhändig geschriebene und unterschriebene Testamente hinterlassen.

Im ersten Testament vom 11.11.1971 hat sie folgendes bestimmt:

"Mein letzter Wille - Testament.

Für den Fall, dass mir irgendetwas passiert, setze ich meine Schwester H.D., geb. 20.7.1921 in B. wh Freiburg, H.-str. 30 als alleinigen Erben für meinen ganzen Besitz ein.

Freiburg, den 11.11.1971 E.D.".

Dieses Testament hat die Erblasserin durch das zweite Testament vom 15.10.1987 wie folgt ergänzt:

"Zusatz zu meinem Testament vom 11.11.1971

Wie schon geschrieben, setze ich meine Schwester, H.D., geb. 20.7.1921 in B. zu meinem alleinigen Erben für meinen ganzen Besitz ein. Nachdem ich jahrelang auf eine Verständigung mit meinem Neffen P.K., geb. am ... in ..., wh. in ... gewartet habe und dieser trotz aller Bemühungen unsererseits sich nicht geneigt zeigte, ein einigermaßen gutes Verhältnis mit uns herbeizuführen, sehe ich mich veranlasst, mein gesamtes Eigentum nach dem Tod meiner Schwester H.D. Herrn Dr. R.R., Arzt, Praxis in: .... zu vermachen. Auch die gesamte Familie meines Neffen P.K., sowie meines Neffen W.D. samt Familie schließe ich von dem mir zu vererbenden Besitz aus.

E.D.

...., den 15.10.1987".

2. Unter Verwendung eines Antragsformulars hat die Beteiligte Nr. 1 mit Schriftsätzen ihres damaligen Verfahrensbevollmächtigten, Rechtsanwalt H., vom 7.12.1994 und vom 22.12.1994 beim Nachlassgericht beantragt, ihr einen Erbschein dahin zu erteilen, dass die Erblasserin von ihr allein beerbt und mit dem Tod der Vorerbin eintretende Nacherbfolge angeordnet worden sei; Nacherbe sei der Beteiligte Nr. 2. In dem ansonsten maschinenschriftlich ausgefüllten Antragsformular war in Sp. 12.b) durch mit der Hand erfolgtes Ankreuzen des Wortes "nicht" angegeben, dass Befreiung von den gesetzlichen Beschränkungen nicht angeordnet sei.

Unter dem 29.12.1994 hat Rechtsanwalt H. dem Nachlassgericht die Beendigung seines Mandates angezeigt. Mit Schriftsatz vom 10.1.1995 haben die nunmehrigen Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten Nr. 1 deren Vertretung angezeigt und den von ihr gestellten Erbscheinsantrag zurückgenommen.

Mit Anwaltsschriftsatz vom 22.1.2004 hat die Beteiligte Nr. 1 Erteilung eines Erbscheins dahin beantragt, dass sie von Verfügungsbeschränkungen befreite alleinige Vorerbin der Erblasserin sei. Sie hat die Auffassung vertreten, die Erblasserin habe eine Befreiung von den gesetzlichen Verfügungsbeschränkungen gewollt; die Befreiung sei im Testament durch die Formulierung angedeutet, die Beteiligte Nr. 1 sei "alleinige Erbin meines gesamten Besitzes". Diesem Antrag ist der Beteiligte Nr. 2 mit Anwaltsschriftsatz vom 20.2.2004 insoweit entgegengetreten, als die Vorerbin danach als von den gesetzlichen Beschränkungen befreit bezeichnet werden soll.

3. Mit Beschl. v. 5.5.2004 hat das Nachlassgericht angekündigt, einen dem Antrag der Beteiligten Nr. 1 entsprechenden Erbschein zu erteilen. Hiergegen hat der Beteiligte Nr. 2 mit Anwaltsschriftsatz vom 27.5.2004 Beschwerde mit dem Antrag eingelegt, das Nachlassgericht zur Erteilung eines Erbscheins anzuweisen, in dem die Beteiligte Nr. 1 als nicht befreite Vorerbin mit dem Beteiligten Nr. 2 als Nache...

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