Leitsatz (amtlich)

Die örtliche Zuständigkeit des Jugendamtes für die Übernahme der Vormundschaft für einen unbegleiteten minderjährigen Flüchtling richtet sich nach einer Inobhutnahme auch dann analog § 88a Abs. 4 Nr. 2, Abs. 2 S.1 SGB VIII nach einer gemäß § 42b Abs. 3 S. 1 SGB VIII getroffenen Zuweisungsentscheidung, wenn die Inobhutnahme nicht mehr besteht.

Die Vorgaben des § 88a Abs. 4 SGB VIII zur örtlichen Zuständigkeit der Jugendämter sind für die Familiengerichte grundsätzlich bindend, falls nicht ausnahmsweise besondere Kindeswohlgesichtspunkte eine abweichende Bewertung rechtfertigen.

 

Normenkette

SGB VIII § 42b Abs. 3. S. 1, § 88a Abs. 2 S. 1, Abs. 4 Nr. 2

 

Verfahrensgang

AG Mosbach (Aktenzeichen 2 F 98/17)

 

Tenor

1. Die Beschwerde des Landkreises Sächsische Schweiz-Osterzgebirge gegen den durch Übergabe an die Geschäftsstelle am 01.06.2017 erlassenen Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Mosbach (Az. 2 F 98/17) wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der beschwerdeführende Landkreis.

3. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.500,00 EUR festgesetzt.

4. Die Festsetzung des Verfahrenswertes für die erste Instanz wird von Amts wegen auf 1.500,00 EUR abgeändert.

 

Gründe

I. Der Beschwerdeführer, der Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, wendet sich mit der Beschwerde gegen die Bestellung als Amtsvormund für einen unbegleiteten minderjährigen Flüchtling.

Der am .....2001 geborene, aus Marokko stammende Betroffene hält sich als unbegleiteter Flüchtling in Deutschland auf. Er wurde vom Jugendamt Mannheim vorläufig in Obhut genommen und hielt sich zunächst in der Notaufnahme des Schifferkinderheimes in Mannheim auf.

Durch am 15.12.2016 ergangenen, bestandskräftigen Zuweisungsbeschluss wurde er dem Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge zugewiesen.

Am 13.01.2017 wurde der Betroffene in eine Einrichtung für unbegleitete Minderjährige des Landkreises Sächsische Schweiz-Osterzgebirge verbracht. Seit dem 18.01.2017 war der Betroffene abgängig. Die im Januar durch das Jugendamt des beschwerdeführenden Landkreises zunächst erfolgte Inobhutnahme wurde deshalb am 23.01.2017 mit Wirkung zum 18.01.2017 beendet.

In der Folge wurde er an verschiedenen Orten im Bundesgebiet aufgegriffen, entwich jedoch wieder.

Schließlich wurde er in Mannheim festgenommen. Seit dem 09.03.2017 befindet er sich, zunächst in Untersuchungshaft, mittlerweile - nachdem er vom Amtsgericht Mannheim zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt worden ist - zur Verbüßung einer Jugendstrafe in der JVA Adelsheim in Haft. Leistungen der Jugendhilfe bezieht er derzeit nicht. Aktuell besteht auch keine Inobhutnahme. Voraussichtlich im Juni 2018 wird er seine Jugendstrafe verbüßt haben, sodass dann ein Leistungsbezug in Betracht kommt.

Das Jugendamt des Landratsamtes Neckar-Odenwald-Kreis hat die Übernahme der örtlichen Zuständigkeit gemäß § 88a Abs. 2 S. 3 SGB VIII auf eine während des Beschwerdeverfahrens erfolgte Anfrage des beschwerdeführenden Landkreises abgelehnt.

Das Jugendamt des Beschwerdeführers hat mit Schreiben vom 17.01.2017 beim Amtsgericht Pirna Maßnahmen nach § 42 Abs. 2 S. 2 Ziffer 2 und S. 3 SGB VIII angeregt, mit Schreiben vom 19.01.2017 die Abgängigkeit des Betroffenen mitgeteilt und mit Schreiben vom 10.03.2017 nochmals die Bestellung eines Vormundes angeregt.

Mit am 01.06.2017 durch Übergabe an die Geschäftsstelle erlassenem Beschluss (Az. 2 F 98/17) hat das Amtsgericht - Familiengericht - Mosbach (laut Rubrum im Wege der einstweiligen Anordnung) nach Übernahme des Verfahrens vom Amtsgericht Pirna und Anhörung des Betroffenen das Ruhen der elterlichen Sorge festgestellt, Vormundschaft angeordnet und als Vormund den Beschwerdeführer bestellt.

Gegen den dem Jugendamt des beschwerdeführenden Landkreises formlos übersandten Beschluss hat dieser mit am 15.06.2017 beim Amtsgericht eingegangenem Schriftsatz Beschwerde eingelegt. Der Betroffene habe sich ab dem 13.01.2017 nur für kurze Zeit im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge aufgehalten und sich dann ins Rhein-Main-Gebiet abgesetzt. Zuvor habe er die Zuweisung nach Sachsen verweigert. Nachdem er am Tag der Zuweisung mehr oder weniger aus dem Bus geworfen worden sei, habe er getobt und sei weggerannt. Es sei davon auszugehen, dass er in sein bisher bekanntes Umfeld zurückgewollt habe, da er sonst keinen Anhaltspunkt mehr habe. Mehrfache Aufgriffe in diesem Gebiet ließen den Schluss zu, dass er sich dort ein soziales Netzwerk aufgebaut habe. Vor dem Transport nach Sachsen sei er nicht gefragt worden, wohin er wolle und aus welchen Gründen. Das Amtsgericht - Familiengericht - Pirna habe das Verfahren nicht umsonst an das Amtsgericht Mosbach abgegeben. Im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge und Umgebung gebe es keine adäquate Einrichtung, um nach der Haftentlassung eine Perspektive zu entwickeln. Hierbei sei die örtliche Nähe des Vormunds von großer Bedeutung. Es sei dem Wohl eines Jugendlichen, nach dem trot...

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