Leitsatz (amtlich)

1. Gibt ein GmbH-Geschäftsführer eine Zahlung auf eine - wie er weiß - fingierte Forderung frei, um damit eine Provisionsabrede zu honorieren, die gegen die unternehmensinternen Compliance-Vorschriften über zustimmungsbedürftige Geschäfte verstieß, kann darin eine Pflichtverletzung liegen, die einen wichtigen Grund zur Kündigung des Anstellungsvertrages darstellt.

Den Geschäftsführer entlastet dann nicht die Annahme, sein Mitgeschäftsführer habe das Vorgehen gebilligt.

2. Die Kündigung aus wichtigem Grund wegen gravierender Compliance-Verstöße eines Geschäftsführers setzt keine Abmahnung voraus.

3. Die Einberufung der für die Beschlussfassung über die Kündigung zuständigen Gesellschafterversammlung wird nicht unangemessen verzögert, wenn zur Aufklärung des Sachverhalts die konzerneigene Compliance-Abteilung eingeschaltet und dadurch eine Einarbeitungszeit erforderlich wird. Es ist ein Gebot umsichtiger Ermittlungen, diese sorgfältig vorzubereiten und zu organisieren.

Eine Frist von 10 Wochen bis zur Abhaltung der Gesellschafterversammlung kann noch akzeptabel sein, wenn sich etwa wegen Urlaubs und dienstlicher Abwesenheit die beabsichtigte zeitgleiche Befragung mehrerer Personen verzögert und sich aus den Befragungen weiterer Ermittlungsbedarf ergibt.

 

Normenkette

BGB §§ 314, 626

 

Verfahrensgang

LG Essen (Aktenzeichen 44 O 66/15)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 10.10.2018 verkündete Urteil des Landgerichts Essen teilweise abgeändert.

Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens tragen der Kläger zu 71 % und die Beklagte zu 29 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem jeweiligen Vollstreckungsschuldner wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

 

Gründe

A) I. Der Kläger macht mit der Klage Zahlungsansprüche aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Geschäftsführer-Dienstvertrag vom 22.8.2011 geltend sowie einen Schadensersatzanspruch im Zusammenhang mit der zwischen den Parteien streitigen Kündigung des Vertragsverhältnisses.

1. Der Kläger war seit dem 1.10.2000 im U Konzern beschäftigt, zu dem die Beklagte gehört. Ab dem 1.10.2012 war er Vorsitzender der Geschäftsführung der Rechtsvorgängerin der Beklagten. Am 22.8.2011 schloss die Rechtsvorgängerin der Beklagten mit dem Kläger einen Geschäftsführer-Dienstvertrag, der eine feste Laufzeit für den Zeitraum 1.10.2012 bis 30.9.2017 vorsieht. Das "Jahreszieleinkommen" des Klägers betrug aufgrund Änderungsvereinbarung aus dem Jahr 2014 ab dem Geschäftsjahr 2014/15 510.480 EUR; es setzte sich zusammen aus einem Jahresgrundgehalt von 240.080 EUR brutto (das entspricht einer monatlichen Grundvergütung von 20.040 EUR brutto) und einem Zielbonus von 270.000 EUR. Der Kläger hatte zudem gem. Dienstvertrag einen Dienstwagen, der auch zur privaten Nutzung zur Verfügung gestellt war, und zwar einen Mercedes CLS mit Listenpreis von 77.885 EUR.

2. Der U Konzern verfolgt ein konzernweit einheitliches Compliance-Programm zur Einhaltung von Recht, Gesetz und unternehmensinternen Richtlinien. Dazu gehört u.a. eine Konzernrichtlinie "Korruptionsprävention" (Anlage B13 BI. 109 ff. d.A.), nach der ein Verhalten, das den Anschein von Korruption begründen könnte ("böser Schein"), zu unterlassen ist.

Für die Mitarbeiter der Beklagten gilt zudem die Konzernrichtlinie zur "Einschaltung von Vermittlern, Beratern und anderen zur Vertriebsunterstützung beauftragten Personen" (Anlage B1, BI. 67 ff. d.A.). Sie bestimmt u.a., dass Provisionen nur (a) schriftlich, (b) unter Wahrung des Vier-Augen-Prinzips und (c) unter Beachtung der geltenden Vertretungsregelungen vereinbart werden dürfen.

Nach einem "Katalog zustimmungspflichtiger Geschäftsvorfälle (ZGV-Katalog)" (Anlage B2, Bl. 74 ff.) ist bei Zusage einer Provision von mehr als 3 % des Nettoauftragsvolumens die vorherige Zustimmung des Bereichsvorstands einzuholen (Ziff. 2.5 - 1) ZGV-Katalog).

3. Mit Schreiben vom 21.9.2015 kündigte die Beklagte dem Kläger fristlos. Anlass war das Verhalten des Klägers im Zusammenhang mit einer Provisionsforderung der F GmbH & Co. KG (im Folgenden F); dazu nachfolgend c). Zum weiteren Hintergrund gehört die Beteiligung des Klägers an einem Bargeldtransfer in China aus dem Jahr 2006 und sein Verhalten im Rahmen der Aufklärung dieses Vorfalls; dazu nachfolgend a). Zudem hat ein anderes Konzernunternehmen von U, bei dem der Kläger zu jener Zeit tätig war, dem Kläger 2015 in 20 Einzelfällen Verstöße gegen die Compliance-Vorschriften der Beklagten vorgeworfen; nachfolgend b).

a) Am 8.3.2006 griffen die örtlichen chinesischen Zollbehörden den Kläger gemeinsam mit den zwei damaligen Mitarbeitern der Beklagten F2 und L2 mit nicht deklariertem Bargeld in Hö...

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