Leitsatz (amtlich)

Die Grundsätze über die Umkehr der Beweislast im Arzthaftungsrecht gelten auch für materielle Schäden, falls es sich hierbei um sog. Primärschäden handelt. Entscheidend für die Beurteilung eines Primärschadens ist, dass die Heilungschance für den Patienten nicht gewahrt worden ist.

 

Normenkette

BGB §§ 823, 831, 844 i.V.m. 1922

 

Verfahrensgang

LG Münster (Aktenzeichen 11 O 1066/99)

 

Tenor

Auf die Berufung der Kläger wird das am 15.2.2001 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des LG Münster teilweise abgeändert.

Die Klage ist hinsichtlich der Klageanträge 1.b) bis e) der Klageschrift vom 26.8.1999 dem Grunde nach gerechtfertigt. Zur Entscheidung über die Höhe wird die Sache unter teilweiser Aufhebung des landgerichtlichen Urteils an das LG zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil des LG vorbehalten.

 

Tatbestand

Die Kläger sind Ehemann und Tochter der am 12.6.1973 geborenen und am 29.3.1999 verstorbenen Frau P., geborene D.

Die Beklagten zu 2) und 3) betreiben eine gynäkologische Gemeinschaftspraxis. Die ehemalige Beklagte zu 1) und spätere Zeugin war in dem hier in Rede stehenden Zeitraum als Weiterbildungsassistent in der Gemeinschaftspraxis der Beklagten zu 2) und 3) tätig.

Am 1.4.1997 suchte Frau P. die Gemeinschaftspraxis der Beklagten auf, wobei der Anlass streitig ist. Frau P. wurde zunächst von der ehemaligen Beklagten zu 1) untersucht. Diese ertastete bei Frau P. einen Knoten in der rechten Brust und einen weiteren Knoten in der rechten Achselhöhle. Sodann führte sie eine diesbezügliche Ultraschalluntersuchung durch, wonach sich die Diagnose stellte, dass es sich bei den vorbefundenen Knoten um Zysten handele. Um sich zu vergewissern, zog sie den Beklagten zu 2) hinzu. Dieser nahm vermutlich eine eigene Befundung des Ultraschallbildes auf dem Monitor vor und bestätigte Frau P., dass es sich bei den Knoten um gutartige und nicht besorgniserregende Verkapselungen handele. Ob die Beklagten zu 1) und 2) Frau P. weitere Empfehlungen zur Verlaufs- und Nachkontrolle gaben, ist streitig. Unstreitig verwendeten die Beklagten zu 1) und 2) bei der Sonographie einen Linearschallkopf mit 3,5 MHz.

Am 2.7.1997 suchte Frau P. die Gemeinschaftspraxis erneut auf. Nach den Krankenunterlagen erfolgte an diesem Tag nur eine Blutentnahme für laborchemische Untersuchungen im Zusammenhang mit einer Frühschwangerschaft. Am 14.7.1997 fand die zugehörige Untersuchung von Frau P. durch die Beklagte zu 3) statt. Als Termin der letzten Regelblutung wurde in den Krankenunterlagen der 29.5.1997 notiert. Eine Kontrolle des Brustbefundes fand an diesem Tag nicht statt.

Am 18.8.1997 erfolgte die nächste Kontrolluntersuchung, welche wiederum durch die Beklagte zu 3) durchgeführt wurde. Dabei gab Frau P. Brustbeschwerden rechts an und erklärte, dass die „Zysten” größer geworden seien. Die sonographische Brustuntersuchung ergab einen etwas uneben konturierten, echoamen Brusttumor rechtsseitig von 3,3 × 2,4 × 2,4 cm Größe. Getastet wurde ein etwas unebener Tumor, der sehr dolent war. In der rechten Axilla (Achselhöhle) wurde ein unverändert 1 cm großer Tumor diagnostiziert. Es erfolgte eine Überweisung an den gynäkologischen Fachkollegen Dr. Z. in … . Dieser nahm am 15.8.1997 eine detaillierte Brustuntersuchung vor und stellte folgende Diagnose:

„Ausgedehntes multifokales Mamma-Karzinom mit ausgedehnter Lymphknotenmetastasierung”

Am 26.8.1997 wurde Frau P. in der Universitätsklinik angemeldet. Dort wurde am 28.8.1997 die rechte Brust entfernt und aus der rechten Achselhöhle mehrere infiltrierende Lymphknoten entnommen. Das Ergebnis der histologischen Aufarbeitung des Operationspräparats lautete: Gering differenziertes invasiv-duktales Mamma-Karzinom von 3,5 cm Durchmesser, daneben 5 mm vom Haupttumor entfernt ein weiterer eben solcher Tumorknoten von 3 mm Durchmesser; in 14 der 26 extirpierten Lymphknoten fanden sich metastatische Tumorinfiltrate.

Am 5.9.1997 wurde die Schwangerschaft in der 13. Woche aus der mütterlichen Indikation abgebrochen. Postoperativ erfolgten eine Nachbestrahlung und eine adjuvante Hochdosischemotherapie. Diese Bemühungen hatten keinen Erfolg. Im Sommer 1998 zeigte sich ein Rezidiv des Tumorleidens. Am 29.9.1998 wurde Frau P. die rechte Brust entfernt. Unter dem 9.12.1998. erließ die zwischenzeitlich eingeschaltete Gutachterkommission für ärztliche Haftpflichtfragen bei der Ärztekammer Westfalen-Lippe ihren gutachterlichen Bescheid, wonach die diagnostische Behandlung der Antragstellerin als fehlerhaft bewertet worden war. Wenige Monate später – am 29.3.1999 – verstarb Frau P.

Die Kläger haben die Beklagten auf Zahlung eines Schmerzensgeldes – Vorstellung: 150.000 DM – und Ersatz materieller Schäden in Anspruch genommen. Sie haben behauptet, dass Frau P. durch die Beklagten in mehrfacher Hinsicht grob fehlerhaft behandelt worden sei. Die Knoten in der rechten Brust und der Achselhöhle seien nicht abgeklärt worden. Wäre das Karzinom bereits am 1.4.1997 erkannt und entspr. behandelt worden...

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