Normenkette

BGB § 833; SGB VII §§ 105, 106 Abs. 3, § 3. Alt

 

Verfahrensgang

LG Bielefeld (Aktenzeichen 2 O 170/00)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 27.11.2001 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des LG Bielefeld wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die zeitliche Befristung zu Ziff. 1) des angefochtenen Tenors (Schmerzensgeld) entfällt, und dass der Feststellungsausspruch zu Ziff. 2) des angefochtenen Urteils sich hinsichtlich der immateriellen Schäden auf die Entstehung zukünftiger immaterieller Schäden bezieht.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Die Klägerin, welche als angestellte Tierärztin in der Tierarztpraxis des Dr. H. in B. tätig war, versuchte am 15.12.1998, dem Schäferhund „Arry”, dessen Halterin die Beklagte ist, Blut aus einer Vorderpfote zu entnehmen. Dem Tier, welches dabei von der Beklagten festgehalten wurde, gelang es, sich aus deren Zugriff zu entwinden. Es stürzte sich auf die Klägerin und fügte ihr eine schwere Bißverletzung im Gesicht zu.

Durch das angefochtene Urteil hat das LG nach Einholung eines tierärztlichen Gutachtens der Klägerin antragsgemäß ein zeitlich begrenztes Teilschmerzensgeld von 30.000 DM zugesprochen und hat – vorbehaltlich des Anspruchsübergangs auf Sozialversicherungsträger – die Ersatzpflicht der Beklagten für sämtliche materiellen und für die nach Schluss der mündlichen Verhandlung eintretenden immateriellen Schäden festgestellt.

Die Beklagte, die mit der Berufung die vollständige Abweisung der Klage erstrebt, wirft der Klägerin vor, diese habe durch unsachgemäßes Vorgehen, insb. durch unzulängliche Fixierung des Maulkorbes, den Unfall selbst verschuldet. Sie meint, es sei Sache der Klägerin gewesen, während der tierärztlichen Behandlung die von dem Hund ausgehende Tiergefahr zu beherrschen, so dass sie aus der Tierhalterhaftung keine Ansprüche herleiten könne. Ferner macht die Beklagte geltend, sie sei nach den Regeln des SGB VII von einer möglichen Haftung befreit, weil sie auf Bitten der Klägerin während der tierärztlichen Behandlung ihres Hundes wie eine Tierarzthelferin tätig geworden sei.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil mit der Maßgabe, dass sie den vom LG zugesprochenen Betrag jetzt als zeitlich unbegrenztes Schmerzensgeld fordert.

Der Senat hat die Parteien gem. § 141 ZPO angehört. Wegen des Ergebnisses wird auf den darüber gefertigten Berichterstattervermerk Bezug genommen.

II. Die Berufung der Beklagten hat im Wesentlichen keinen Erfolg; sie führt lediglich dazu, dass der Abgeltungsbereich der Verurteilung zur Schmerzensgeldzahlung dem in dieser Instanz modifizierten Klagebegehren angepasst wird.

1. Als Halterin des Hundes hat die Beklagte gem. §§ 833 S. 1, 847 BGB für die von diesem angerichteten materiellen und immateriellen Schäden der Klägerin einzustehen.

Die Haftung der Beklagten ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil sich die Klägerin freiwillig der Tiergefahr ausgesetzt hat. Mit der Übernahme der tierärztlichen Behandlung des Hundes hat die Klägerin nicht das Einstehen für die Tiergefahr auf sich genommen. Denn die Tatsache, dass sich jemand freiwillig in den Gefahrenbereich eines Tieres begibt, rechtfertigt es nicht ohne weiteres, ihn vom Schutzbereich der Tierhalterhaftung auszuschließen (vgl. Palandt/Thomas, § 833 BGB Rz. 2, 3; Geigel/Haag, Der Haftpflichtprozess, 18. Kap. Rz. 14, 15; Wussow/Terbille, UHR, Kap. 11 Rz. 36 ff.). Das gilt jedenfalls dann, wenn die Behandlung – wie im vorliegenden Fall – in Gegenwart und unter Mitwirkung des Halters erfolgt (BGH 1968, 1932 [1933]). Ob dies anders zu beurteilen ist, wenn der Geschädigte in seinem alleinigen Eigeninteresse das Tier übernommen hat (vgl. dazu BGH VersR 1974, 356) oder eine grobe vermeidbare Selbstgefährdung vorliegt (dazu OLG Frankfurt VersR 1983, 1040), kann hier dahinstehen. Denn die Behandlung des Tieres erfolgte auf Wunsch und damit durchaus im Interesse der Beklagten, die zudem anwesend war und den Hund festzuhalten versuchte. Auch kann der Klägerin keine grobe vermeidbare Selbstgefährdung vorgeworfen werden. Denn ihr fällt, wie unten noch näher auszuführen sein wird, kein feststellbares Mitverschulden zur Last.

2. Die Regeln über die Haftungsersetzung gem. §§ 104 ff. SGB VII stehen einer Inanspruchnahme der Beklagten nicht entgegen.

2.1 Das gilt zunächst für die Regelung des § 105 Abs. 1 SGB VII, welche die Beklagte für sich in Anspruch nimmt. Nach dieser Vorschrift kommt die Haftungsprivilegierung Versicherten desselben Betriebes zugute, die durch eine betriebliche Tätigkeit einen Versicherungsfall verursachen.

Hier war zwar die Klägerin als angestellte Tierärztin im Betrieb des Dr. H. gem. § 2 Abs. 1 Ziff. 1 SGB VII versichert, und der Unfall war für sie ein Versicherungsfall gem. § 8 Abs. 1 SGB VII; er ist von der Berufsgenossenschaft als solcher anerkannt worden. Jedoch ist er nicht von der Beklagten durch eine betriebliche Tätigkeit verursacht worden.

2.1.1 Der Senat hat zunächst erwog...

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