Leitsatz (amtlich)

Nachzüglervorrang versus Vertrauensgrundsatz bei "grün":

Je weiter der Farbwechsel der Lichtzeichenanlage auf "grün" zurückliegt, umso mehr darf der bei "grün" Durchfahrende auf eine freie Kreuzung ohne Nachzügler aus dem Querverkehr der vorhergehenden Ampelphase vertrauen.

 

Normenkette

StVG §§ 7, 17-18; VVG § 115; StVO § 1 Abs. 2, §§ 11, 37

 

Verfahrensgang

LG Essen (Urteil vom 10.02.2016; Aktenzeichen 20 O 155/13)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 10.02.2016 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 20. Zivilkammer des LG Essen unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 4.623,41 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit dem 02.07.2013 zu zahlen.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin weitere 443,67 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 24.08.2013 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin zu 25 % und den Beklagten gesamtschuldnerisch zu 75 % auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

(abgekürzt gemäß §§ 313a Abs. 1, 540 Abs. 2 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO)

I. Die Klägerin verlangt von den Beklagten restlichen Schadensersatz aufgrund eines Verkehrsunfalls, der sich am 27.03.2013 in Essen auf der Ampelkreuzung Gladbecker Straße/Grillostraße ereignet hat. Die Beklagte zu 1) hat die Schäden unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 2/3 zu Lasten der Beklagten teilweise reguliert. Mit der Klage verlangt die Klägerin den vollen Ausgleich der geltend gemachten Schäden.

Der Ehemann der Klägerin, der Zeuge Y, befuhr mit dem klägerischen Fahrzeug die Gladbecker Straße in Richtung Innenstadt. Im Kreuzungsbereich Gladbeckerstraße/Grillostraße kam es zur Kollision mit dem bei der Beklagten zu 1) versicherten und im Unfallzeitpunkt von der Beklagten zu 2) gesteuerten Fahrzeug des Beklagten zu 3). Die Beklagte zu 2) war zuvor auf der Grillostraße von Westen kommend in die Kreuzung eingefahren, dort aber zunächst aufgrund eines Rückstaus der gegenüberliegenden Linksabbiegerspur verkehrsbedingt zum Stehen gekommen. Als die Beklagte zu 2) ihr Fahrzeug wieder in Bewegung setzte und die Kreuzung passieren wollte, kam es zur Kollision mit dem Klägerfahrzeug. Wegen des erstinstanzlich vorgetragenen Sachverhalts im Übrigen und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils (Bl. 234-245 der Akten) verwiesen.

Das LG hat die Klage nach Anhörung der Beklagten zu 2) und Beweisaufnahme durch Vernehmung der Zeugen Y, N, X, T und B sowie Einholung eines Sachverständigengutachtens abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin treffe eine Mithaftung von 1/3, da der Zeuge Y gegen das allgemeine Rücksichtnahmegebot aus §§ 1 Abs. 2, 11 Abs. 3 StVO verstoßen habe, indem er mit fliegendem Start in die Kreuzung eingefahren sei, ohne sich zuvor davon überzeugt zu haben, dass die Kreuzung von bevorrechtigtem Querverkehr frei sei. Auf Seiten der Beklagten hat das LG einen Verstoß gegen § 1 StVO angenommen. Die Beklagte zu 2) sei zwar gegenüber dem anlaufenden Querverkehr bevorrechtigt gewesen, dies habe sie jedoch nicht von der ihr nach § 1 StVO obliegenden Sorgfaltspflichten befreit. Aufgrund des Grünlichts des Querverkehrs habe sie nur vorsichtig einbiegen und nicht blindlings darauf vertrauen dürfen, dass sie vorgelassen werde. Unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 2/3 zu 1/3 zu Lasten der Beklagten habe die Beklagte zu 1) den ersatzfähigen Schaden vollumfänglich reguliert. Wegen der weiteren Einzelheiten der Entscheidungsgründe wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit der Berufung. Sie rügt, das LG sei zu Unrecht von einem Verstoß des Zeugen Y gegen das allgemeine Rücksichtnahmegebot aus §§ 1 Abs. 2, 11 Abs. 3 StVO ausgegangen. Insoweit greift die Klägerin die Beweiswürdigung des LG an. Die Beweisaufnahme, so die Ansicht der Klägerin, habe ergeben, dass vor dem Zeugen Y bereits mehrere Fahrzeuge die Kreuzung passiert hätten. Die Beklagte zu 2) habe ihre Fahrt, ohne auf den Zeugen Y zu achten, mit starker Beschleunigung fortgesetzt und es sei zu der Kollision der Fahrzeuge gekommen. Aufgrund dieses eklatanten Verstoßes der Beklagten zu 2) sei von einem Alleinverschulden der Beklagten auszugehen.

Die Klägerin beantragt, unter Abänderung des am 10.02.2016 verkündeten Urteils des LG Essen - 20 O 155/13 - wie folgt zu erkennen:

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 5.099,02 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit dem 02.07.2013 zu zahlen.

2. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 1.640,93 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit ...

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