Leitsatz (amtlich)

1. Wird das Fahrzeug in einem vorgeschädigten Bereich erneut, deckungsgleich beschädigt und ist die Unfallursächlichkeit der geltend gemachten Schäden deshalb streitig, muss der Geschädigte darlegen und mit überwiegender Wahrscheinlichkeit i.S.v. § 287 ZPO nachweisen, dass der geltend gemachte Schaden nach Art und Umfang insgesamt oder ein abgrenzbarer Teil hiervon auf das streitgegenständliche Unfallereignis zurückzuführen ist.

2. Der Geschädigte muss grundsätzlich darlegen und ggf. nachweisen, welche eingrenzbaren Vorschäden an dem Fahrzeug vorhanden waren und durch welche konkreten Reparaturmaßnahmen diese zeitlich vor dem streitgegenständlichen Unfall fachgerecht beseitigt worden sind.

3. Bei der Bemessung der klägerischen Substantiierungslast zu Art und Ausmaß des Vorschadens und zu Umfang und Güte der Vorschadensreparatur dürfen die Anforderungen nicht überspannt werden; der Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG darf nicht verletzt werden.

4. Das Verschweigen von Vorschäden führt nicht zu einem Anspruchsausschluss nach § 242 BGB. Die Versagung nachweislich bestehender Ansprüche ist in dem gesetzlichen Regime des materiellen Bürgerlichen Rechts quasi als Nebenstrafe nicht vorgesehen.

 

Normenkette

StGB § 242; StVG § 7; ZPO § 287

 

Verfahrensgang

LG Siegen (Aktenzeichen 1 O 113/19)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der Einzelrichterin der 1. Zivilkammer des Landgerichts Siegen vom 22.03.2021 teilweise abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.595,29 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.04.2019 zu zahlen.

Die Beklagte wird ferner verurteilt, an den Kläger außergerichtliche Rechtsanwaltskosten der Kanzlei A in Höhe von 571,49 Euro zu zahlen.

Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 23 % und die Beklagte zu 77%.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Der Kläger macht gegen die Beklagte aus einem von deren Versicherungsnehmerin allein verursachten Verkehrsunfall vom 01.11.2018 Schadensersatzansprüche geltend. Bei diesem Unfall wurden die linke hintere Seitenwand und die hintere linke Tür seines Kraftfahrzeugs beschädigt.

Der im Dezember 2012 erstmals zugelassene PKW01 Typ01 hatte in der Vorbesitzzeit des Klägers im Jahre 2014 einen Heckschaden mit einem Reparaturaufwand von ca. 3.900,- EUR netto, vgl. Bl. 28 - 30 der von dem Kläger bereits erstinstanzlich vorgelegten Fahrzeughistorie. Im Jahr 2016 erlitt das Fahrzeug bei einem Wildunfall einen Frontschaden und durch einen weiteren Unfall infolge eines Fehlers beim Einparken einen Schaden, durch den das linke Seitenteil betroffen wurde. Das Fahrzeug wurde, wie sich aus der Fahrzeughistorie unter Auflistung der einzelnen Positionen ergibt - jeweils bei einem PKW01 Vertragshändler instandgesetzt. Der Reparaturaufwand für den Seitenteilschaden belief sich ausweislich der vom Kläger vorgelegten und an den Voreigentümer, Herrn B, adressierten Rechnung des PKW01 Autohauses C vom 18.01.2017 auf 1.400,57 EUR brutto. Im Zuge der Reparatur wurde das linke Seitenteil ausgebeult und anschließend lackiert. Eine Rechnung über die Instandsetzung des Frontschadens vermochte der Kläger nicht vorzulegen.

In der Besitzzeit des Klägers wurde durch spielende Kinder vor dem 01.11.2018 eine Beule oberhalb des hinteren linken Radkastens verursacht. Dieser Schaden blieb unrepariert.

Das Landgericht, auf dessen Urteil gem. § 540 ZPO verwiesen wird, soweit sich aus dem Nachstehenden nichts anderes ergibt, hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe den Umfang möglicherweise deckungsgleicher Vorschäden am linken Seitenteil nicht dargelegt und insbesondere nichts zu deren fachgerechter Reparatur vorgetragen, so dass der ihm durch den Unfall vom 01.11.2018 entstandene Schaden nicht ermittelt werden könne.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Begehren unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens fort.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat im Termin vom 25.01.2022 den Kläger persönlich gem. § 141 ZPO angehört. Er hat die Beteiligten über ein zwischen dem Zeugen B und dem Senatsvorsitzenden geführtes Telefonat informiert und dessen Inhalt bekanntgegeben, weil der Zeuge infolge einer aktuellen Coronaerkrankung der Ladung nicht Folge leisten konnte. Der Sachverständige D hat im Senatstermin ein mündliches Gutachten zu Fragen der Reparaturkostenhöhe unter Berücksichtigung von Vor- und Altschäden, zum Minderwert sowie zum Wiederbeschaffungs- und Restwert erstattet.

II. Die Berufung des Klägers hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Dem Kläger steht gegen die Beklagte gem. §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG iVm § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG ein Schadensersatzanspruch iHv 5.595,29 EUR nebst Zinsen iHv 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.04.2019 und ein Anspruch auf Erstat...

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