Entscheidungsstichwort (Thema)

Ehescheidung nach türkischem Recht: Keine Rückverweisung nach Einbürgerung eines deutsch-türkischen Doppelstaatlers

 

Leitsatz (redaktionell)

Wird einer von zwei türkischen Ehegatten während der Ehe unter Beibehaltung der türkischen Staatsangehörigkeit eingebürgert, so sind für das Ehescheidungsverfahren die deutschen Gerichte zuständig. Auf die Scheidung findet dagegen türkisches Recht Anwendung.

 

Normenkette

EGBGB Art. 14 Abs. 1 Nr. 1, Art. 17; ZGB TÜR § Art. 134; ZGB TÜR § Art. 166 Abs. 1

 

Verfahrensgang

AG Essen (Urteil vom 15.01.2010; Aktenzeichen 103 F 61/09)

 

Tenor

Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das am 15.1.2010 verkündete Urteil des AG - Familiengericht - Essen aufgehoben und der Antrag des Antragstellers auf Scheidung seiner Ehe zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Antragsteller.

 

Gründe

I. Der Antragsteller begehrt die Scheidung seiner Ehe nach deutschem Recht.

Der am 1.8.1961 geborene Antragsteller und die am 6.9.1966 geborene Antragsgegnerin stammen aus der Türkei. Sie haben dort am 3.5.1988 in Hinis/Turkei die Ehe geschlossen. Aus der Ehe sind die gemeinsamen Kinder H, geb. am 13.6.1991, und S, geb. am 5.2.2003, hervorgegangen. Die Parteien leben seit dem Jahr 2003 getrennt. Der Antragsteller, der im Jahr 1991 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist war, besitzt seit dem 12.4.2001 die deutsche Staatsangehörigkeit. Die Antragsgegnerin ist nach wie vor allein türkische Staatsangehörige.

Die Antragsgegnerin hat vorgetragen, es sei türkisches Recht anzuwenden. Ihr stehe nach Art. 166 türk. ZGB ein Widerspruchsrecht gegen die Scheidung zu. Der Antragsteller trage die überwiegende Schuld an der Zerrüttung der Ehe. Er habe die Familie verlassen und sich einer anderen Partnerin zugewandt. Sie hingegen wolle die eheliche Lebensgemeinschaft fortsetzen.

Durch das angefochtene Urteil ist die Ehe der Parteien nach deutschem Recht geschieden und der Versorgungsausgleich durchgeführt worden. Das AG hat die Anwendung deutschen Rechts damit begründet, dass nach den Vorschriften des türkischen internationalen Privatrechts, auf das nach Art. 14 Abs. 1 Nr. 1, Alt. 2 EGBGB verwiesen werde, in den Fällen unterschiedlicher Staatsangehörigkeit im Zeitpunkt der Scheidung das Recht des gemeinsamen Wohnsitzes anwendbar sei.

Damit sei das deutsche Recht anzuwenden, weil der Antragsteller deutscher Staatsangehöriger sei, während die Antragsgegnerin aliein die türkische Staatsangehörigkeit habe. Nach deutschem Scheidungsrecht werde das Scheitern der Ehe unwiderlegbar vermutet, da die Parteien seit drei Jahren getrennt lebten.

Dagegen richtet sich die Berufung der Antragsgegnerin. Sie meint, das AG habe zu Unrecht deutsches Recht angewandt. Es sei vielmehr türkisches Recht anzuwenden. Das deutsche IPR verweise wegen der früheren gemeinsamen türkischen Staatsangehörigkeit der Parteien auf das türkische Recht, Art. 17, 14 EGBGB, das nach Art. 28 türk. STAG auch für frühere türkische Staatsangehörige gelte. Diese Gleichbehandlung ehemaliger türkischer Staatsangehöriger nach türkischem Recht müsse auch im Ausland anerkannt werden. Der Antragsteller sei noch immer türkischer Staatsangehöriger. Nach Art. 4 des türk. IPRG gehe die türkische Staatsangehörigkeit der deutschen Staatsangehörigkeit vor. Da den Antragsteller das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe treffe, sei der Scheidungsantrag nach türkischem Recht abzuweisen. Sie, die Antragsgegnerin, wolle sich nicht scheiden lassen wegen der gemeinsamen Kinder und weil sie in der Türkei als geschiedene Frau ein geringeres Ansehen habe.

Die Antragsgegnerin beantragt, das Urteil des AG Essen aufzuheben und den Scheidungsantrag abzuweisen.

Der Antragsteller beantragt, den Antrag zurückzuweisen.

Er verteidigt die angefochtene Entscheidung. Insbesondere meint er, es sei das Recht des gemeinsamen Aufenthaltes der Parteien anzuwenden. Da sich die Parteien gewöhnlich in der Bundesrepublik Deutschland aufhielten, sei deutsches Recht anwendbar. Er wolle geschieden werden, weil er und seine Ehefrau sich nicht verstünden und sich gegenseitig nicht respektierten.

II. Die zulässige Berufung der Antragsgegnerin ist begründet und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.

1. Für das vorliegende Ehescheidungsverfahren der Parteien sind die deutschen Gerichte nach Art. 3 der EG Verordnung Nr. 2201/2003 vom 27.11.2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und In Verfahren bereffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (EheVO II) international zuständig, weil beide Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben. Damit findet nach dem Prinzip der lex-fori auch das deutsche Verfahrensrecht Anwendung.

2. In der Sache richtet sich die Scheidung der Parteien jedoch nicht nach deutschem sondern nach türkischem Scheidungsrecht. Die Voraussetzungen für eine Ehescheidung liegen danach nicht vor.

a) aa) Nach Art. 17 EGBGB unterliegt di...

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