Leitsatz (amtlich)

Weist ein Gynäkologe eine Patientin auf die begrenzte Aussagekraft des AMH-Wertes hin und unterlässt die Frau nach Bekanntwerden eines AMH-Wertes von weniger als 0,1 die weitere Empfängnisverhütung, haftet der Gynäkologe nicht für eine spätere - ungewollte - Schwangerschaft der Frau.

 

Normenkette

BGB §§ 249ff, 253 II, §§ 280, 611, 823 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Bielefeld (Aktenzeichen 4 O 49/14)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 09. Mai 2017 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufungsinstanz werden der Klägerin auferlegt.

Das angefochtene Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 110 Prozent des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

Die am ...1967 geborene Klägerin hat von dem Beklagten wegen vermeintlicher ärztlicher Behandlungsfehler im Rahmen der gynäkologischen Betreuung (ungewollte Schwangerschaft) in der Hauptsache die Zahlung eines mit mindestens 50.000,00 EUR für angemessen gehaltenen Schmerzensgeldes und den Ersatz von Unterhaltsschäden bis zur Volljährigkeit des Kindes begehrt.

Die Klägerin hatte zusammen mit ihrem Ehemann bereits 3 Kinder, die in den Jahren 1993,1995 und 1998 zur Welt gekommen waren. Die Familienplanung war im Jahr 2011 abgeschlossen. Zum damaligen Zeitpunkt nahm die Klägerin seit über 10 Jahren die Antibabypille ein. Am 18.10.2011 stellt sich die Klägerin für eine regelmäßige Untersuchung in der Praxis der Beklagten vor. Betreiber der Praxis waren die Beklagten zu 2) und 3). Die Beklagten zu 4) und 5) waren angestellt. Hintergrund des Termins, der durch den Beklagten zu 3) durchgeführt wurde, war unter anderem eine beabsichtigte zytologische Untersuchung bei gesicherter Zyklusstörung. Am 23. 2. 2012 erfolgte laut den Krankenunterlagen mit der Klägerin ein Aufklärungsgespräch zur Abschätzung des Konzeptionsrisikos. In diesem Zusammenhang begehrte die Klägerin die Bestimmung des AMH-Wertes (Anti-Müller-Hormon-Wertes). Das Ergebnis von 0,37 ng/ml lag in der Praxis am 5.3.2012 vor. Am 16.4.2012 stellte sich die Klägerin anschließend erneut zu einem Kontrolltermin bei dem Beklagten zu 3) vor. Der Inhalt der Gespräche bei den genannten Terminen ist streitig. Im August 2012 stellte sich heraus, dass die Klägerin schwanger war. Das Kind kann Dezember 2012 zur Welt.

Die Parteien haben erstinstanzlich insbesondere darüber gestritten, ob die Klägerin durch Personal der Beklagten bei einem Telefongespräch vom 9.3.2012 fehlerhaft falsch über die Bedeutung des ermittelten AMH-Wertes informiert worden sei. Die Klägerin behauptet überdies, dass dasselbe für die Untersuchung vom 16.4.2012 durch den Beklagten zu 3) gelte. Bei diesem Termin habe sie ihn auch darüber informiert, dass sie die Antibabypille bereits abgesetzt habe und im April keine Regelblutung stattgefunden habe.

Das Landgericht hat die Klage nach sachverständiger gynäkologischer Begutachtung durch Prof. Dr. Dr. U abgewiesen.

Behandlungsfehler seien nicht festzustellen. Eine telefonische Fehlinformation durch Mitarbeiterinnen der Beklagten am 9.3.2012 sei nicht bewiesen. Dem Antrag auf Mitteilung der Personalien der betroffenen Mitarbeiterinnen sei nicht nachzugehen, weil darauf ein Anspruch nicht bestehe. Gegebenenfalls komme nur eine Beweisvereitelung in Betracht, die vorliegend aber nicht gegeben sei. Auf der Basis der Krankenunterlagen sei vielmehr davon auszugehen, dass eine Information über den AMH-Wert erst am 16. 4. 2012 erfolgt sei. Zu diesem Zeitpunkt habe bereits eine Schwangerschaft bestanden, die jedoch nach den standardmäßigen Untersuchungsmethoden nicht feststellbar gewesen sei. Anamnestische Anhaltspunkte für weitergehende Untersuchungen oder ein Ratschlag zu einem späteren Schwangerschaftstest hätten nicht bestanden. Insbesondere habe die Klägerin dem Beklagten zu 3) nicht mitgeteilt, dass sie die Antibabypille abgesetzt habe.

Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin, die das erstinstanzliche Begehren weiter verfolgt.

Sie rügt, dass die Begutachtung nicht die Grundlagen der Bewertung mitteile. Auch habe sich der Sachverständige nicht mit der Klägerin unterhalten und diese nicht persönlich untersucht. Es sei nicht auszuschließen, dass sich daraus bei der Klägerin Besonderheiten ergeben würden, die zu einer vom Standard abweichenden Bewertung etwa zur Aussagekraft des AMH-Wertes führten.

Sie meint, dass die Beklagten schon nach dem Erhalt des AMH-Serumspiegels am 05.03.2012 die Klägerin unaufgefordert hätten therapeutisch beraten müssen. Dasselbe gelte für die Vorstellung am 16.04.2012. Auch zu diesem Zeitpunkt hätte man bei bekannter Pillenmüdigkeit unaufgefordert zur Frage der Verhütung und Regelblutung nachfragen müssen.

Die Klägerin wirft den Beklagten Beweisvereitelung insoweit vor, als sie nicht die Namen der Arzthelferinnen nebst ladungsfähigen Ansc...

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