Entscheidungsstichwort (Thema)

Anscheinsbeweis bei Radfahrersturz; Hundeanleinverordnung als Schutzgesetz

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine städtische Hundeanleinverordnung ist ein Schutzgesetz i.S.v. § 823 BGB.

2. Begegnet auf öffentlicher Straße eine Radfahrerin einem Hund, der entgegen einer solchen Verordnung nicht angeleint ist, und kommt sie im unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang damit zu Fall, so kann ein Anscheinsbeweis dafür sprechen, dass das Bewegungsverhalten des Hundes und damit die von ihm ausgehende Tiergefahr für ihren Sturz ursächlich waren.

 

Normenkette

BGB § 823 Abs. 2, § 833

 

Verfahrensgang

LG Dortmund (Urteil vom 14.02.2008; Aktenzeichen 12 O 366/05)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 14.2.2008 verkündete Urteil der 12. Zivilkammer des LG Dortmund abgeändert.

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 4.313,50 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.7.2005 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin jeden weiteren immateriellen und materiellen Schaden aus dem Unfall vom 10.1.2005 zu ersetzen.

Die weitergehende Klage bleibt abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen tragen die Klägerin zu 5/12 und der Beklagte zu 7/12.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Die Klägerin und ihr Ehemann befuhren am 10.1.2005 mit dem Fahrrad einen Wirtschaftsweg in D-B. Ihnen kamen der inzwischen verstorbene Vater des Beklagten und die Zeugin B als Fußgänger entgegen. Etwa 10 bis 20 m vor ihnen lief unangeleint der von ihnen ausgeführte französische Hirtenhund N, dessen Halter der Beklagte ist. Die Klägerin, die den Hund N kannte, sprach ihn während der Begegnung an und kam im engen zeitlichen Zusammenhang damit zu Fall; die näheren Umstände sind streitig. Sie erlitt einen Bruch des 9. Brustwirbelkörpers.

Sie hat behauptet, der Sturz sei dadurch verursacht worden, dass Nemo für sie von rechts kommend vor ihr Fahrrad geraten sei und das Vorderrad berührt habe.

Der Haftpflichtversicherer des Beklagten zahlte am 8.3.2005 auf ihre Schadensersatzansprüche 1.000 EUR.

Mit der Klage hat sie ein angemessenes Schmerzensgeld in vorgestellter Höhe von weiteren 4.000 EUR sowie 2.371,86 EUR als Ersatz ihres materiellen Schadens verlangt und die Feststellung begehrt, dass der Beklagte verpflichtet sei, ihr jeden weiteren materiellen und immateriellen Schaden aus dem Unfall vom 10.1.2005 zu ersetzen.

Der Beklagte hat bestritten, dass N gegen das Vorderrad der Klägerin geraten sei, und dass das Verhalten des Hundes ursächlich für den Sturz der Klägerin geworden sei.

Das LG hat nach Zeugenvernehmung eine Verursachung des Sturzes durch den Hund N nicht für bewiesen erachtet und die Klage abgewiesen.

II. Die form- und fristgerechte Berufung der Klägerin, mit der sie ihre erstinstanzlichen Ansprüche weiterverfolgt, hat überwiegend Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.

1. Der Beklagte ist gem. § 833 BGB als Halter des Hundes N der Klägerin zum Schadensersatz verpflichtet, weil N den Sturz der Klägerin verursacht hat.

1.1 In der weiteren Beweisaufnahme vor dem Senat haben der als Zeuge vernommene Ehemann der Klägerin einerseits und die Zeugin B andererseits an ihren jeweiligen schon vor dem LG gegebenen Darstellungen festgehalten, die darin übereinstimmten, dass N sich unmittelbar vor dem Sturz der Klägerin rechts von ihr auf dem Randstreifen befunden hat. Im Übrigen wichen aber die Darstellungen voneinander ab.

Nach der Darstellung des Zeugen Sch (Ehemann der Klägerin) soll es so gewesen sein, dass N zunächst zwischen den beiden Radfahrern hindurchgelaufen ist, wobei die Klägerin ihn angesprochen hat, dass er dann die Richtung geändert haben muss, indem er sich hinter dem Fahrrad der Klägerin umgewendet und sie rechts überholt hat und dann bei einer Bewegung nach links hinüber gegen ihr Vorderrad geraten ist. Demgegenüber soll es nach der Darstellung der Zeugin B so gewesen sein, dass N der Klägerin auf dem aus ihrer Sicht rechten Randstreifen entgegengekommen ist, dass sie ihn auf diese Weise mit ihrer rechten Seite passiert und dabei angesprochen hat, und dass er sich - möglicherweise aufgrund der Ansprache - nach rechts gedreht hat, als die Klägerin schon praktisch an ihm vorbei war, und dass dann die Klägerin ohne Berührung mit dem Hund oder ohne Behinderung durch ihn gestürzt sein soll, wobei die Zeugin B die Vermutung äußerte, dass dies aufgrund besonders langsamer Fahrweise geschehen sein könnte. Aus der Sicht des Senats erscheint zunächst eine derartige Verursachung des Sturzes deutlich weniger plausibel als eine solche, bei welcher der Hund eine Rolle gespielt hat. Denn zum einen ist es doch eher ungewöhnlich, dass eine geübte Radfahrerin ohne besonderen Anlass einfach aufgrund einer extremen Langsamfahrt stürzt, und zum andern hat sich - wenn auch in den Einzelheiten der Begegnungsschilderungen Differenzen bestehen - der Sturz jedenfalls in unmittelbarem zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit der Begegnung ere...

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