Entscheidungsstichwort (Thema)

Mitschuld trotz Vorfahrtsberechtigung bei gefahrerhöhendem Tun

 

Normenkette

BGB §§ 254, 823; StVG §§ 7, 17-18

 

Verfahrensgang

LG Essen (Urteil vom 29.11.2004; Aktenzeichen 3 O 480/03)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das am 29.11.2004 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des LG Essen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger 2.933,93 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 5.7.2003 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weiter gehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

A. Der Kläger macht Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 30.5.2003 in H. geltend. Er befuhr mit seinem Pkw die I.-Straße in nördlicher Richtung, und zwar im Bereich einer Ein- und Ausfahrt einer Tankstelle in zweiter Reihe, weil rechts andere Fahrzeuge standen. Dabei überfuhr er eine wegen Straßenbahnschienen durch Markierungen aufgebrachte Sperrfläche. Er beabsichtigte, nach der Sperrfläche auf die Linksabbiegerspur an der folgenden Ampelkreuzung zu fahren, an der die Lichtzeichenanlage "Rot" zeigte und wo auf der rechten Geradeausspur Fahrzeuge warteten. Streitig ist, ob diese Warteschlange bis zur Tankstelle zurückreichte oder ob dort rechts auch Fahrzeuge (verbotswidrig) parkten und der Kläger deshalb in die zweite Reihe auswich. Jedenfalls hatten diese rechts stehenden Pkw eine Lücke an der Ein- und Ausfahrt der Tankstelle gelassen. Durch diese wollte die Beklagte zu 2) mit dem Pkw des Beklagten zu 1) von der Tankstelle nach links in südliche Richtung auf die I.-Straße einbiegen. An dieser Stelle weist die Sperrfläche eine Unterbrechung auf, um ein solches Abbiegen zu erlauben. Es kam zum Zusammenstoß, bei dem im Wesentlichen der Kotflügel vorne rechts des Fahrzeugs des Klägers und die Frontpartie links des von der Beklagten zu 2) geführten Pkw beschädigt wurden.

Der Kläger hat in erster Instanz Ersatz des vollen ihm entstandenen Schadens begehrt.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes erster Instanz und der dort getroffenen Feststellungen wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Das LG hat der Klage nur im Umfang eines Drittels stattgegeben. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe verwiesen.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er im Umfang der ihm bewilligten Prozesskostenhilfe seinen erstinstanzlichen Antrag teilweise weiterverfolgt und insgesamt nunmehr Ersatz von 2/3 seines Schadens begehrt.

B. Die zulässige Berufung ist teilweise begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Ersatz der Hälfte des ihm entstandenen Schadens gem. §§ 7, 17, 18 StVG, 823 Abs. 1, 254 BGB, 3 Abs. 1 Nr. 1 PflVG.

Ein Ausschluss der Haftung eines der Beteiligten nach § 17 Abs. 3 StVG kommt ersichtlich nicht in Frage. Die demnach durchzuführende Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge nach § 17 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 StVG ergibt, dass sie gleiches Gewicht haben und daher der hälftige Schaden zu ersetzen ist.

I. Die Betriebsgefahr des Fahrzeugs der Beklagten zu 2) (im Folgenden: Beklagte) ist durch ein Verschulden erheblich erhöht. Bereits der Beweis des ersten Anscheins spricht für einen Verstoß der Beklagten gegen § 10 S. 1 StVO (vgl. nur Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl. 2005, § 10 StVO Rz. 11). Er wird im vorliegenden Fall noch dadurch gestützt, dass ausweislich der Beschädigungen der Fahrzeuge die Beklagte in die Seite des Pkws des Klägers fuhr und nicht etwa der Kläger gegen den Pkw der Beklagten. Ein solcher Verstoß führt angesichts der von § 10 StVO aufgestellten hohen Anforderungen an denjenigen, der aus einem Grundstück ausfährt (er muss eine Gefährdung anderer "ausschließen"), grundsätzlich zu dessen Alleinhaftung, sofern nur die einfache Betriebsgefahr des Gegners entgegensteht (Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl. 2005, § 17 StVG Rz. 18; Janiszewski/Jagow/Burmann, Straßenverkehrsrecht, 18. Aufl. 2004, § 10 StVO Rz. 8).

Entgegen der Auffassung der Beklagten bestand das Vorfahrtsrecht des Klägers für die gesamte Straße und auch auf der Sperrfläche, so dass auch der Kläger durch § 10 StVO geschützt war. Das entspricht der ständigen Rechtsprechung und allgemeinen Auffassung (vgl. nur Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl. 2005, § 8 StVO Rz. 30).

II. Allerdings ist auch die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs deutlich erhöht.

1. Zum einen ist dem Kläger das Überfahren der Sperrfläche gefahrerhöhend anzurechnen. Soweit außer dem Gegenverkehr auch andere Verkehrsteilnehmer auf die Berücksichtigung der Sperrflächenmarkierung vertrauen dürfen und ihr Verhalten hierauf einstellen, sind auch sie in den Schutzbereich der genannten Bestimmung einbezogen (BGH v. 12.12.1991 - III ZR 10/91, MDR 1992, 944 = NZV 1992, 148 [150]; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl. 2005, § 41 StVO Rz. 248 zu Z 298; OLG Köln v. ...

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