Leitsatz (amtlich)

In der Gefäßchirurgie gilt der Grundsatz: Eine akute Ischämie (Gefäßverschluss) ist akut zu behandeln. Wird der Versuch einer Rekanalisierung der Arterie nicht rechtzeitig unternommen, kann das als grober Behandlungsfehler zu werten sein. Das ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn mit dem zögerlichen Verhalten dem Patienten die einzige Chance zum Erhalt einer Hand genommen wird. Für den Teilverlust der rechten Hand bei Entfernung des Daumens, des Zeigefingers und Teile des Mittelfingers kann ein Schmerzensgeld von 50.000,- EUR angemessen sein.

 

Normenkette

BGB §§ 253, 280, 823

 

Verfahrensgang

LG Bochum (Aktenzeichen 6 O 370/16)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 30. Januar 2019 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufungsinstanz werden der Beklagten auferlegt.

Das angefochtene Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 110 Prozent des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

Der am ....10.1973 geborene Kläger hat von der Beklagten wegen vermeintlicher ärztlicher Behandlungsfehler in der Hauptsache die Zahlung eines mit mindestens 50.000,00 EUR für angemessen gehaltenen Schmerzensgeldes, den Ersatz materiellen Schadens in Höhe von 751,45 EUR und die Feststellung weitergehender Ersatzpflicht begehrt.

Der Kläger litt an insulinpflichtigem Diabetes. Am 08.08.2013 ließ er deshalb im Krankenhaus der Beklagten eine kombinierte Pankreas/Nierentransplantation vornehmen.

Seit dem 16.02.2014 befand er sich nach dem Auftreten gastrointestinaler Blutungen erneut im Krankenhaus der Beklagten. In den folgenden Tagen kam es immer wieder zu Blutungen, die die Gabe von erheblichen Erythrozyten-Konzentraten erforderten. Unter anderem fand am 19.02.2014 eine Massenblutung statt, die durch eine Notfalloperation gestoppt werden konnte. Postoperativ zeigte sich danach eine livide Verfärbung der rechten Hand, die sich am 20.02.2014 als Folge eines Verschlusses der Arteria radialis nach einer Dissektion darstellte. Zudem bestand ein chronischer Verschluss der Arteria ulnaris. Der arterielle Hohlhandbogen war ebenfalls unterbrochen, so dass eine Minderdurchblutung der Daumenseite der rechten Hand vorlag. Während sich nach weiterer operativer Behandlung der Allgemeinzustand des Klägers verbesserte, kam es bei der rechten Hand zu einer allmählichen Verschlechterung bis hin zu einer Teilmumifizierung. Deshalb wurde unter anderem am 06.03.2014 eine Rekanalisation der rechten Speichenarterie vorgenommen. Letztlich musste am 19.06.2014 die Amputation der mumifizierten Teile durchgeführt werden.

Erstinstanzlich haben die Parteien insbesondere darüber gestritten, ob die Rekanalisation anstatt am 06.03.2014 nicht schon spätestens am 21.02.2014 hätte vorgenommen werden können und müssen, und ob dadurch die Hand hätte gerettet werden können.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, dass die notwendigen gefäßchirurgischen Eingriffe verspätet erfolgt seien. Dabei handele sich um einen groben Behandlungsfehler. Bei rechtzeitiger richtiger Behandlung spätestens am 21.02.2014 habe eine Heilungschance von 50 % bestanden. Von der Ursächlichkeit des Unterlassens rechtzeitiger Maßnahmen für die Amputation sei auszugehen, weil die aufgrund des groben Behandlungsfehlers für das Gegenteil beweispflichtige Beklagte den Gegenbeweis nicht geführt habe.

Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die das erstinstanzliche Begehren weiter verfolgt.

Sie behauptet, dass auch nach dem 21.01.2014 bis zum 06.03.2014 wegen der Erkrankungen des Klägers jede Art eines Eingriffs kontraindiziert gewesen sei. Sie führt dazu an: Diabetes mellitus seit dem 18. Lebensjahr, Dialyse von 2011 bis 2013, diabetische Polyneuropathie, Retinopathie, schwere Arteriosklerose, Zustand nach Nieren-Pankreastransplantation mit Immunsuppression, Zustand nach mehrfacher schwerer Blutung seit dem 16.02.2014, Zustand nach mehrfacher Massentransfusion seit dem 16.02.2014, Nachbeatmung und Katecholamintherapie zwischen dem 16. und 20.02.2014, nur langsame Verschlimmerung der Durchblutungsstörung der Finger, Gefahr von Infektionen mit dem Risiko einer kompletten Amputation der Hand oder des Unterarms. Darüber hinaus trägt sie zu den Risiken einer chirurgischen Korrektur von Durchblutungsstörungen der Hand vor und beruft sich auf mehrere Studien, die belegen sollen, dass die Beklagte mit dem Zuwarten richtig gehandelt habe.

Die Beklagte behauptet, dass durch ihre Therapie das gleiche Ergebnis erzielt wurde, wie es mit frühzeitiger Operation zu erzielen war. Es gebe auch keinen Standard für die Behandlung derartiger Fälle.

Jedenfalls sei das zuerkannte Schmerzensgeld überhöht.

Die Beklagte beantragt,

1. das Urteil des Landgerichts Bochum vom 30.01.2019 (Az.I-6 O 370/16) aufzuheben und die Klage abzuweisen,

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