Verfahrensgang

LG Siegen (Aktenzeichen 2 O 208/20)

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten vom 03.11.2021 wird das am 28.09.2021 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Siegen abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.

Die Anschlussberufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch den Beklagten gegen Sicherheitsleistung von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 26.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

A. Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin von dem Beklagten Nutzungsentschädigung verlangen kann, weil er von Januar 2017 bis April 2020 eine Wohnung bewohnte, an der ihr ein notariell eingetragenes Wohnungsrecht zusteht.

Bei den Parteien handelt es sich um Tochter und Sohn der im Jahr 2003 verstorbenen N. L.; daneben gibt es drei weitere Geschwister. Die Familie ist seit Jahrzehnten in S.-U. ansässig und betreibt dort eine Gaststätte mit eigener Fleischerei.

Mit notariellem Übertragungsvertrag vom 11.05.1976 übertrug N. L. das Grundstück M.-straße N01 (ehemals M.-straße N02) in U. (eingetragen im Grundbuch von S.-Land G01) mit dem auf dem Grundstück befindlichen Wohnhausrohbau auf den Beklagten.

In § 2 des Übertragungsvertrages wurde folgendes vereinbart:

"Im Hinblick auf vorstehende Übertragung verpflichtet sich der Erschienene zu zwei (Anm.: der Beklagte) zu folgenden Leistungen:

1. (...)

2. Er räumt der Erschienenen zu eins und deren Tochter I. L. als Gesamtberechtigten in dem übertragenen Wohngebäude ein Wohnungsrecht ein. Das Recht bezieht sich auf die ausschließliche Nutzung der Wohnung des Untergeschosses.

Hinsichtlich der Berechtigten I. L. erlischt das Recht bei deren Heirat. Falls es durch die Heirat von I. L. oder durch den Tod einer Berechtigten für eine Berechtigte erlischt, steht es der Letztberechtigten in vollem Umfang zu.

Der Erschienene zu zwei ist verpflichtet, die Wohnung, auf die sich das Wohnungsrecht bezieht, auf seine Kosten einzugsbereit fertigzustellen.

3. Er verzichtet für sich und seine Abkömmlinge seiner zu eins erschienenen Mutter gegenüber auf sein gesetzliches Erb- und Pflichtteilsrecht (...)."

Das Wohnungsrecht für die Mutter der Parteien und die Klägerin als Gesamtberechtigte wurde in Abt. II lfd. Nr. 1 des Grundbuchs mit dem Vermerk "Das Recht der Klägerin erlischt bei deren Heirat" eingetragen.

Der Beklagte stellte den Rohbau fertig und zog mit seiner Familie in die Hauptwohnung ein. Weder die bis heute unverheiratete Klägerin noch N. L. nutzten in der Folgezeit die streitgegenständliche Wohnung im Untergeschoss. Beide lebten im früheren Elternhaus der Parteien mit der Anschrift "K.-straße N03", in dem sich auch die von ihnen und dem Bruder T. gemeinsam betriebene Gaststätte mit Fleischerei befindet. Die streitbefangene Untergeschosswohnung wurde vom Beklagten ab den 1980er Jahren fremdvermietet.

Etwa im Jahr 1999 übertrug N. L. der Klägerin ein Nachbargrundstück mit einem bezugsfertigen Haus zu Eigentum. Eine der beiden Wohnungen in dem Zweifamilienhaus ist vermietet, die andere steht bis heute leer. Auch auf die übrigen Geschwister wurden Grundstücke übertragen.

Nach dem Tod der Mutter im Jahr 2003 verblieb die Klägerin im elterlichen Haus, das der ebenfalls unverheiratet gebliebene Bruder T. erbte und das beide seitdem gemeinsam bewohnten.

Etwa im Jahr 2011 bezog der Beklagte die streitbefangene Untergeschosswohnung in seinem Haus selbst; die Familie seines Sohnes übernahm die Hauptwohnung. Der Klägerin war diese Nutzung der Wohnung bekannt.

Mit Schreiben vom 25.09.2018 (Bl. 64 f. d.A.) widersprach die anwaltlich vertretene Klägerin der Nutzung der streitbefangenen Wohnung durch den Beklagten und forderte diesen zur Räumung bis zum 25.10.2018 auf. Alternativ bot sie dem Beklagten an, die Wohnung weiter zu nutzen, allerdings gegen Zahlung einer monatlichen Nutzungsentschädigung. Den Willen zur Eigennutzung der Wohnung hatte die Klägerin zu diesem Zeitpunkt unstreitig nicht.

Mit Schriftsatz vom 25.01.2019 erhob die Klägerin Herausgabeklage (Az. 1 O 29/19 LG Siegen). Der Beklagte wurde - nach Beweisaufnahme (vgl. Bl. 63 ff. BA) - mit rechtskräftigem Urteil des Landgerichts Siegen vom 07.01.2020 verurteilt, die streitgegenständliche Wohnung zu räumen und geräumt an die Klägerin herauszugeben.

Der Beklagte teilte mit Schreiben vom 13.02.2020 mit, er werde versuchen, die Wohnung bis zum 01.08.2020 zu räumen. Mit anwaltlichem Schreiben vom 21.02.2020 (Anl. K4, Bl. 17 ff. d.A.) widersprach die Klägerin der unentgeltlichen Weiternutzung der Wohnung und forderte den Beklagten zur unverzüglichen Räumung sowie zur Zahlung von Nutzungsersatz in Höhe von monatlich 650 EUR für den Zeitraum ab Januar 2017 auf. Zur Zahlung des aufgelaufenen Betrages bis Januar 2020 (einschließlich)...

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