Entscheidungsstichwort (Thema)

Kognitionspflicht. prozessualer Tatbegriff. Nämlichkeit der Tat

 

Normenkette

StPO § 264; StGB § 263 Abs. 1, § 266 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Arnsberg (Entscheidung vom 17.08.2020; Aktenzeichen 1 Ns 24/19)

 

Tenor

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Arnsberg zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Am 10.04.2018 hat die Staatsanwaltschaft Anklage vor dem Amtsgericht - Schöffengericht - Brilon gegen den Angeklagten wegen Untreue in zwei Fällen erhoben. Konkret legte sie ihm zur Last, die Vermögenssorge des Zeugen F im September 2010 übernommen und am 05.06.2014 und 22.09.2014 Beträge in Höhe von 74.498,32 € und 27.900 € entgegen der bestehenden Vermögensbetreuungspflicht für eigene Zwecke verwendet zu haben, welche ursprünglich aus einer Lebensversicherung des Zeugen bei der S-Versicherung stammten.

Das Amtsgericht - Schöffengericht - Brilon hat die Anklage am 28.05.2018 unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen. Nach Erteilung eines entsprechenden rechtlichen Hinweises hat es sodann den Angeklagten am 14.10.2019 wegen Betruges in einem besonders schweren Fall zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt und die Einziehung des Wertersatzes von Taterträgen in Höhe von 200.000 € angeordnet. Nach den zugrunde liegenden Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils war der Zeuge F spätestens im November 2011 infolge eines durch Alkoholmissbrauch erlittenen Korsakow-Syndroms geschäftsunfähig und wurde aus diesem Grund in einer betreuten Einrichtung untergebracht. Der Angeklagte als Pflegedienstleiter habe in der Folgezeit das Vertrauen des geschäftsunfähigen Zeugen erschlichen. Im Jahr 2013 habe er sodann eine Konto- und Vorsorgevollmacht aus dem Internet heruntergeladen, diese auf den 16.09.2010 zurückdatiert und durch den Zeugen unterschreiben lassen. Mit Schreiben vom 10.12.2013 habe er die rückdatierte Vollmacht sowie seinen Betreuerausweis der S-Versicherung vorgelegt und mit weiterem Schreiben vom 08.02.2014 und E-Mail vom 24.02.2014 habe er die S-Versicherung zur Auszahlung einer Lebensversicherungssumme des Zeugen F auf ein E-Konto veranlasst, dessen Inhaber der Zeuge F und er gemeinsam gewesen seien. Der Angeklagte habe ferner die von ihm gefertigte Vollmacht beim Amtsgericht Medebach eingereicht, so dass dieses mit Beschluss vom 26.11.2013 die Betreuung des Zeugen F wieder aufgehoben habe. In der Folgezeit sei es zu den in der Anklageschrift genannten Kontoabbuchungen für eigene Zwecke gekommen.

Auf die von der Staatsanwaltschaft zuungunsten des Angeklagten eingelegte Berufung sowie die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Arnsberg mit Urteil vom 17.08.2020 das angefochtene Urteil des Amtsgerichts Brilon aufgehoben und das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte wegen Betrugs verurteilt worden ist. Ferner hat es festgestellt, dass das Verfahren im Umfang der Anklage beim Amtsgericht weiterhin anhängig ist. Hinsichtlich des Betrugsvorwurfs zum Nachteil der S-Versicherung bestehe ein Verfahrenshindernis, da dieser Vorwurf nach dem prozessualen Tatbegriff des § 264 StPO nicht Inhalt der zugelassenen Anklage sei.

Die Staatsanwaltschaft Arnsberg hat gegen das Berufungsurteil fristgemäß Revision eingelegt und diese mit der Verletzung materiellen Rechts begründet. Die Generalstaatsanwaltschaft ist der Revision der Staatsanwaltschaft beigetreten und hat beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Arnsberg zurückzuverweisen.

Der Angeklagte hat beantragt, die Revision der Staatsanwaltschaft als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die zulässige, insbesondere fristgerecht erhobene Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der Sachrüge Erfolg, da das Landgericht seine Kognitionspflicht (§ 264 StPO) verletzt hat.

1)

Entgegen dem Landgericht bestand im Hinblick auf die der amtsgerichtlichen Verurteilung zu Grunde liegende Tat, nämlich dem Betrug zu Lasten der S-Versicherung, kein Verfahrenshindernis.

a)

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gebietet die sogenannte Kognitionspflicht, dass der durch die zugelassene Anklage abgegrenzte Prozessstoff durch vollständige Aburteilung des einheitlichen Lebensvorgangs erschöpft wird (st.Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 30.09.2020 - 5 StR 99/20 -, Rn. 16 - 17, juris; BGH, Urteil vom 10.10.2018 - 2 StR 253/18 - juris, m.w.N.). Der Unrechtsgehalt der Tat muss ohne Rücksicht auf die dem Eröffnungsbeschluss zugrunde gelegte Bewertung ausgeschöpft werden, soweit keine rechtlichen Gründe entgegenstehen. Fehlt es daran, so stellt dies einen sachlich-rechtlichen Mangel dar (st.Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 30.09.2020 - 5 StR 99/20 -, Rn. 16 - 17, juris; BGH, Urteil vom 10.10.2018 - 2 StR 253/18 mwN).

Gegenstand der Urteilsfindung ist hierbei gemäß § 264 Abs. 1 StPO - wovon das Landgericht im A...

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