Leitsatz (amtlich)

1. Gem. § 17 Abs. 4 StVO muss der Fahrzeugführer die Erkennbarkeit des Fahrzeugs in einer Entfernung sicherstellen, die es einem anderen Verkehrsteilnehmern ermöglicht, bei verkehrsgemäßem Verhalten den Zusammenstoß zu vermeiden. Vorkehrungen für eine Erkennbarkeit des Fahrzeugs auch bei einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit und/oder bei einem Verstoß gegen das Gebot "Fahren auf Sicht" muss der Fahrzeugführer nicht treffen.

2. Ist das Fehlen lichttechnischer Einrichtungen gemäß § 53 StVZO (Schlussleuchten, Bremsleuchten, Rückstrahler) für die eingeschränkte Erkennbarkeit des Fahrzeugs kausal geworden, ist in die Abwägung der Verursachungsbeiträge ein Verstoß gegen § 23 Abs. 1 S. 4 StVO einzustellen.

 

Normenkette

StVO § 17 Abs. 4 S. 2, § 23 Abs. 1; StVZO § 53 Abs. 4

 

Verfahrensgang

LG Hagen (Aktenzeichen 9 O 54/16)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 23.03.2018 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 9. Zivilkammer des Landgerichts Hagen (Az.: 9 O 54/16) unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 55.290,24 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 18.02.2016 zu zahlen sowie die Klägerin von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.954,47 EUR freizustellen.

Im Übrigen wird und bleibt die Klage abgewiesen.

Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits in 1. Instanz und 2. Instanz tragen die Klägerin zu 40 % und die Beklagten zu 60 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten dürfen die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des auf Grund des Urteils jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 30.09.2018 gegen 20:30 Uhr auf der M Straße in J, bei dem das von dem - im Laufe des Rechtsstreits verstorbenen - Rechtsvorgänger der Klägerin gehaltene und in seinem Eigentum stehende Expeditionsfahrzeug, Typ U Automatik, amtliches Kennzeichen XX, welches am Fahrbahnrand geparkt war, durch das von der Beklagten zu 1) geführte und bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherte Fahrzeug, Typ W, XX, beschädigt wurde. Die Beklagte zu 1), die zuvor die M Straße befahren hatte, fuhr teilüberdeckend mit der rechten Frontseite auf den linken Heckbereich des klägerischen Fahrzeuges auf.

Bei dem klägerischen Fahrzeug handelt es sich um ein Sondermodell eines zu einem Expeditionsfahrzeug umgebauten U, auf den eine Wohnkabine aufgebaut war. Der Rechtsvorgänger der Klägerin holte zur Schadensfeststellung ein Gutachten ein, welches einen der Differenzbesteuerung unterliegenden Wiederbeschaffungswert von 140.000,00 EUR brutto sowie einen Restwert i.H.v. 34.590,00 EUR auf Grundlage eines bis zum 09.11.2015 gültigen Kaufangebots ermittelte. Der Rechtsvorgänger der Klägerin verlangte von der Beklagten zu 2) die Schadensregulierung auf Totalschadenbasis. Auf Verlangen der Beklagten zu 2) fand eine Nachbesichtigung des Fahrzeuges statt. Das Dekra-Gutachten vom 28.12.2015 stellte einen Wiederbeschaffungswert von ebenfalls 140.000,00 EUR brutto - allerdings der Regelbesteuerung unterliegend - fest. Der Restwert wurde dagegen mit 25.000,00 EUR beziffert.

Mit Regulierungsschreiben vom 05.02.2016 gestand die Beklagte zu 2) eine Haftung im Umfang von 1/3 zu und wies die Ansprüche im Übrigen zurück. Auf Basis der in dem Dekra Gutachten ermittelten Reparaturkosten, des geltend gemachten Sachverständigenhonorars, der Kostenpauschale sowie teilweise berücksichtigter Standkosten errechnete die Beklagte zu 2) einen Anspruch des Rechtsvorgängers der Klägerin i.H.v. 29.513,93 EUR. Unter Berücksichtigung einer geleisteten Vorschusszahlung sowie der bereits erfolgten Zahlung des Sachverständigenhonorars verblieb ein Auszahlungsbetrag i.H.v. 6.372,39 EUR, den die Beklagte zu 2) an den Rechtsvorgänger der Klägerin ausglich.

Mit der Klage hat der Rechtsvorgänger der Klägerin auf Totalschadenbasis unter Berücksichtigung eines Wiederbeschaffungsaufwandes von 115.000,00 EUR und einer Haftungsquote von 100 % einen von den Beklagten zu zahlenden weiteren Betrag von 93.894,21 EUR geltend gemacht. Er hat behauptet, die Beklagte zu 1) sei mit nicht angepasster Geschwindigkeit und unaufmerksam gefahren. Das klägerische Fahrzeug sei bei Dämmerung deutlich sichtbar gewesen. Das Fahrzeug habe einen Totalschaden erlitten, da sich keine Werkstatt zur Reparatur unter Übernahme einer Garantie für die Reparaturarbeiten bereit erklärt habe. Ein vergleichbares Fahrzeug gebe es nicht auf dem Gebrauchtwagenmarkt, so dass von dem ermittelten Wiederbeschaffungswert kein Mehrwertsteuerabzug erfolgen könne. Dem Rechtsvorgänger der Klägerin habe Standgeld in voller geltend gemachter Höhe zugest...

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