Leitsatz (amtlich)

1. Die Regelung in der Satzung einer gemeinnützigen GmbH (gGmbH), wonach im Fall des Ausscheidens eines Gesellschafters eine Abfindung nur in Höhe des Nennbetrages seiner Stammeinlage zu leisten ist, ist nicht nach § 138 BGB nichtig, selbst wenn ein grobes Missverhältnis zwischen dem Nennwert und dem nach allgemeinen gesetzlichen Regeln zu bestimmenden Abfindungsbetrag besteht. Wenn die Gesellschaft steuerbegünstigte Zwecke i. S. d. §§ 55 ff. AO verfolgt, ist die Klausel zulässig und geboten.

2. Der Zulässigkeit der Beschränkung des Abfindungsanspruchs steht nicht entgegen, dass auch (Insolvenz-)Gläubigern des Gesellschafters nur der Nennbetrag als Haftungsmasse zur Verfügung steht, sofern die Satzung keine abweichenden Regelungen für unterschiedliche Ausscheidensgründe enthält.

3. Zur Auslegung von Bestandteilen einer GmbH-Satzung.

 

Normenkette

AO § 55 Abs. 1 Nr. 1 S. 2, Nr. 2, § 60; BGB § 138 Abs. 1, § 738 Abs. 1 S. 2; GmbHG § 34 Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

LG Essen (Aktenzeichen 4 O 258/20)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 11.05.2022 verkündete Urteil des Landgerichts Essen wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund beider Urteile vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

 

Gründe

A. Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der A Pflege-Dienste Ruhr gGmbH (im Folgenden: Insolvenzschuldnerin), die in B einen ambulanten Pflegedienst betrieb. Das Insolvenzverfahren wurde durch Beschluss des AG Essen (Aktenzeichen 162 IN 118/13) vom 01.10.2013 (Anlage TW 1) eröffnet.

Die Insolvenzschuldnerin war Gesellschafterin der Beklagten mit einer Stammeinlage von 1.000,00 EUR. Das Stammkapital der Beklagten beträgt nach § 4 (1) des Gesellschaftsvertrages (Stand 14.04.2014) insgesamt 63.000,00 EUR.

Der Gesellschaftsvertrag der Beklagten (Stand: 14.04.2014) enthält u.a. die folgenden Regelungen:

§ 3 Steuerbegünstigte Zwecke

(1) Die Gesellschaft verfolgt ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige, mildtätige und kirchliche Zwecke im Sinne des Abschnitts "Steuerbegünstigte Zwecke" der Abgabenordnung.

[...]

§ 5 Verfügung über Geschäftsanteile

[...]

(3) Die Geschäftsanteile können von der Gesellschaft dann eingezogen werden, wenn

a. ein Gesellschafter in der Weise gegen die Satzung und seine Treuepflichten verstößt, dass bei einer Personengesellschaft ein Ausschluss nach § 140 HGB verlangt werden könnte,

b. hinsichtlich des Vermögens eines Gesellschafters das Insolvenzverfahren eröffnet wird,

c. in den Geschäftsanteil die Zwangsvollstreckung betrieben wird,

d. der Gesellschafter die Gesellschaft kündigt oder Auflösungsklage erhebt,

e. wenn das Mitglied seine Tätigkeit im Bereich der in § 2 vorausgesetzten Tätigkeit als Träger katholischer Krankenhäuser oder Einrichtungen der katholischen Altenpflege und der dazugehörigen Ausbildung einstellt.

(4) Über die Einziehung von Geschäftsanteilen beschließt die Gesellschafterversammlung mit einer Mehrheit von mindestens 2/3 der Stimmen. Die betroffenen Gesellschafter sind nicht stimmberechtigt. Im Falle der Einziehung des Geschäftsanteils erhält der betroffene Gesellschafter nur den Nennwert seiner Stammeinlage erstattet.

[...]

§ 17 Kündigung, Auflösung der Gesellschaft

[...]

(4) Scheidet ein Gesellschafter durch Kündigung, Einziehung oder durch eine die Einziehung ersetzende Übertragung an einen Dritten aus der Gesellschaft aus, steht ihm eine Abfindung zu. Die Abfindung berechnet sich nach dem Nennwert des Anteils des ausscheidenden Gesellschafters.

[...]

(7) Bei Auflösung der Gesellschaft oder bei Wegfall steuerbegünstigter Zwecke erhalten die Gesellschafter nicht mehr als die eingezahlten Kapitaleinlagen und den gemeinen Wert geleisteter Sacheinlagen zurück, die für gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke zu verwenden sind. Das übrige Vermögen der Gesellschaft fällt nach Ablösung sämtlicher Verpflichtungen an die Gesellschafter, soweit sie steuerbegünstigt im Sinne des Abschnitts "steuerbegünstigte Zwecke" der Abgabenordnung sind und zwar im Verhältnis der durchschnittlichen Zahl der tatsächlichen Auszubildenden der letzten fünf Jahre vor der Auflösung, die es unmittelbar und ausschließlich für gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke zu verwenden haben.

[...]

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den zu den Akten gereichten Gesellschaftsvertrag (Anlage TW 20) Bezug genommen.

Mit Beschluss vom 16.10.2017 (Anlage TW 5) schlossen die Gesellschafter die Insolvenzschuldnerin aus der Beklagten aus und bestimmten ihr Abfindungsguthaben auf den Nennwert ihrer Stammeinlage von 1.000,00 EUR. Dieser Betrag wurde dem Anderkonto des Klägers am 03.07.2017 gutgeschrieben.

Mit seiner Stufenklage begehrt der Kläger auf der ersten Stufe die Erteilung einer Schlussabre...

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