Leitsatz (amtlich)

Die Gestaltung eines innerstädtischen Marktplatzes mit einer dunkel farbigen (gegenüber dem sonst hellen Belag) Stufenanlage kann verkehrswidrig sein, wenn an Markttagen wegen der Verkaufsstände und der damit verbundenen Ablenkung der Besucher die Höhenunterschiede der Stufe(n) ggü. der Umgebung leicht übersehen kann, so dass es zu einer erheblichen Stolpergefahr kommt. (Fortsetzung von OLG Hamm v. 25.5.2004 - 9 U 43/04, NJW-RR 2005, 255).

 

Verfahrensgang

LG Essen (Urteil vom 23.06.2005; Aktenzeichen 4 O 391/04)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung der Klägerin gegen das am 23.6.2005 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des LG Essen werden zurückgewiesen.

Bei der Kostenentscheidung des ersten Rechtszuges verbleibt es. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Beklagten zu 5/6 und der Klägerin zu 1/6 auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

(gem. § 540 ZPO)

I. Die Beklagte hat im Jahr 2002 auf dem Marktplatz F als gestalterisches Element eine umlaufende Stufenanlage errichtet, die farblich dunkler gehalten ist als die Plattierung des Marktplatzes und zu einem späteren Zeitpunkt an ihrer Oberkante mit orangefarbenen passiven Leuchtpünktchen, jeweils in etwa der Größe einer EUR-münze, bestückt wurde. Die Stufenanlage ist in einem Bereich fast ebeneerdig und steigt von dort stetig an. An ihrer höchsten und zugleich breitesten Stelle besteht sie aus drei Treppenstufen.

Am 28.2.2003, einem Marktag, stolperte die Klägerin in einem Bereich, in dem die Stufe eine circa 3 bis 4 cm hoch stehende Kante bildet, und brach sich dabei die rechte Hand.

Erstinstanzlich hat die Klägerin von der Beklagten ein Schmerzensgeld in vorgestellter Höhe von mindestens 2500 EUR begehrt. Das LG hat eine Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten bejaht und der Klägerin ein Schmerzensgeld von 1.000 EUR zugesprochen.

Dagegen richten sich die Berufung der Beklagten, mit der sie weiterhin Klageabweisung erstrebt; sowie die Anschlussberufung der Klägerin, mit der sie ein Schmerzensgeld von 1200 EUR begehrt.

II. Berufung und Anschlussberufung haben keinen Erfolg.

1. Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch aus §§ 839, 253 BGB, Art. 34 Grundgesetz wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht zu.

Die Stufenanlage stellte so, wie sie zum Unfallzeitpunkt ausgebildet war, jedenfalls in dem Bereich, in dem die Klägerin gestürzt ist, eine sicherungsbedüftige ("abhilfebedürftige") Gefahrenstelle dar.

aa) Nach gefestigter Rechtsprechung haben die für die Sicherheit der in ihren Verantwortungsbereich fallenden Verkehrsflächen zuständigen Gebietskörperschaften tunlichst darauf hinzuwirken, dass die Verkehrsteilnehmer in diesen Bereichen nicht zu Schaden kommen. Dabei muss der Sicherungspflichtige allerdings nicht für alle denkbaren, auch entfernten Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorkehrungen treffen. Eine Sicherung, die jeden Unfall ausschließt, ist praktisch nicht erreichbar. Vielmehr sind Vorsorgemaßnahmen nur dann geboten, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Möglichkeit einer Rechtsgutverletzung anderer ergibt (OLG Hamm v. 19.7.1996 - 9 U 108/96, MDR 1996, 1131 = NZV 1997, 43, m.w.N.). Dies ist dann zu bejahen, wenn eine Gefahrenquelle trotz Anwendung der von den Verkehrsteilnehmern zu erwartenden eigenen Sorgfalt nicht rechtzeitig erkennbar ist oder diese sich auf die Gefahrenlage nicht rechtzeitig einstellen können (BGH VersR 1979, 1055). Dabei wird die Grenze zwischen abhilfebedürftigen Gefahren und von den Benutzern hinzunehmenden Erschwernissen ganz maßgeblich durch die sich im Rahmen des Vernünftigen haltenden Sicherheitserwartungen des Verkehrs bestimmt, die sich wesentlich an dem äußeren Erscheinungsbild der Verkehrsfläche und der Verkehrsbedeutung orientieren.

bb) Legt man diesen Maßstab auf den Streitfall an, stellt die Stufenanlage in dem Bereich, in dem die Klägerin gestützt ist, eine abhilfebedürftige Gefahrenstelle dar.

Es handelt sich um eine scharfkantige, unerwartete Erhebung auf dem Marktplatz. Der Argumentation der Beklagten, die Stufenanlage sei wegen ihres dunkelfarbigen Kontrastes und des ihres Ausmaßes offenbarenden Gesamteindruckes nicht zu übersehen, so dass sich jeder Fußgänger bei Anwendung der gehörigen Aufmerksamkeit darauf einstellen könne, kann jedenfalls bezogen auf die Verhältnisse an Markttagen nicht gefolgt werden. Wie aus den zur Akte gereichten Fotos ersichtlich ist, kann von den Marktbesuchern die Stufenanlage allenfalls partitiell wahrgenommen werden. Das "Große und Ganze" des gestalterischen Elementes bleibt verborgen, weil die Markstände den Blick auf die Stufe als Einheit verstellen. Hinzu kommt- auch dies wird aus den Fotos deutlich-, das in der konkreten Situation durch die Anordnung der Stände der Eindruck einer sich bis zu den Ladengeschäften am Rande des Marktplatzes fortsetzenden Gasse entsteht, der der Blick des Marktbesuchers unwillkürlich folgt.

Zu berücksichtigen ist außerdem, dass die Aufmerksamkeit von Ma...

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