Leitsatz (amtlich)

Ein in einem Wohngebiet 2,2 cm herausragender Kanaldeckel muss in einem Bereich, der von Fußgängern und Fahrzeugen gleichermaßen benutzt wird, keine abhilfebedürftige Gefahrenstelle sein. Ein Fußgänger muss in einem solchen Bereich damit rechnen, dass es durch die mechanischen Belastungen des Fahrzeugverkehrs zu Unebenheiten und einer Kantenbildung am Kanaldeckel kommen kann. Hebt sich der Kanaldeckel deutlich von der Pflasterung ab und kann er trotz der vorhandenen Kante mühelos be- oder umgangen werden, kann der Verkehrssicherungspflichtige davon ausgehen, dass ein hinreichend aufmerksamer Fußgänger derartige Unebenheiten rechtzeitig erkennt und sich darauf einstellt.

 

Normenkette

BGB §§ 249, 253, 839; GG Art. 34; StrWG NRW §§ 9, 9a, 47

 

Verfahrensgang

LG Dortmund (Aktenzeichen 25 O 164/19)

 

Tenor

In dem Rechtsstreit weist der Senat nach Beratung darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufung durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen.

Der Klägerin wird Gelegenheit gegeben, binnen zwei Wochen nach Zugang dieses Beschlusses zu dem Hinweis Stellung zu nehmen oder die Berufung aus Kostengründen zurückzunehmen.

 

Gründe

Die Berufung ist zulässig, hat aber nach einstimmiger Überzeugung des Senats offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats. Auch eine mündliche Verhandlung, von der neue entscheidungserhebliche Erkenntnisse nicht zu erwarten sind, ist nicht geboten, § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO.

Im Ergebnis hat das Landgericht die Klage zu Recht abgewiesen.

1. Allerdings liegt die Begründung des Landgerichts, die Klägerin träfe ein anspruchsausschließendes Mitverschulden, ersichtlich neben der Sache. Das Landgericht verkennt, dass die Haftung aus einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht nicht schon dann vollständig entfällt, wenn der Geschädigte bei Einhaltung der gebotenen Sorgfalt eine pflichtwidrig bestehende Gefahrenstelle hätte erkennen und umgehen können. Die haftungsrechtliche Gesamtverantwortung für das Unfallereignis würde damit allein auf den Geschädigten verlagert, obwohl der Verkehrssicherungspflichtige eine maßgebliche Ursache für das Schadensereignis gesetzt hat. Dieses Ergebnis widerspräche dem Schutzzweck der verletzten Verkehrssicherungspflicht, die auch solche Verkehrsteilnehmer vor Schäden bewahren soll, die nicht stets ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit und Vorsicht walten lassen. Ein die Haftung des Verkehrssicherungspflichtigen ausschließender, weit überwiegender Verursachungsbeitrag des Geschädigten kann daher nur angenommen werden, wenn das Handeln des Geschädigten von einer ganz besonderen, schlechthin unverständlichen Sorglosigkeit gekennzeichnet ist (vgl. BGH, Urteil vom 20.06.2013 zu III ZR 326/12, VersR 2013, S. 1322).

Zu einem Sorgfaltsverstoß von diesem Gewicht fehlen jegliche Feststellungen des Landgerichts. Umstände, die einen derartigen Vorwurf begründen könnten, sind weder vorgetragen worden, noch sonst ersichtlich.

2. Die Entscheidung des Landgerichts erweist sich jedoch aus anderen Gründen als in der Sache zutreffend.

Der Klägerin steht kein Anspruch aufgrund ihres Unfalls vom 09.11.2018 gegen 21.00 Uhr im Bereich der Kreuzung C-Straße/Tstraße im Gebiet der beklagten Stadt kein Schadensersatzanspruch gegen diese gemäß § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG, §§ 9, 9a, 47 StrWG NW zu. Nach dem eigenen Vortrag der Klägerin fehlt es bereits an einer Amtspflichtverletzung in Form einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht für die öffentlichen Straßen und Wege. Der Kanaldeckel, an dem die Klägerin zu Fall kam, stellt keine abhilfebedürftige Gefahrenstelle dar.

Grundsätzlich haben die für die Sicherheit der in ihren Verantwortungsbereich fallenden Verkehrsflächen zuständigen Gebietskörperschaften im Rahmen des ihnen Zumutbaren nach Kräften darauf hinzuwirken, dass die Verkehrsteilnehmer in diesen Bereichen nicht zu Schaden kommen. Allerdings muss der Sicherungspflichtige nicht für alle denkbaren, auch entfernten Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge treffen, da eine Sicherung, die jeden Unfall ausschließt, praktisch nicht erreichbar ist. Vielmehr bestimmt sich der Umfang der Verkehrssicherungspflicht danach, für welche Art von Verkehr eine Verkehrsfläche nach ihrem Befund unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse und der allgemeinen Verkehrsauffassung gewidmet ist und was ein vernünftiger Benutzer an Sicherheit erwarten darf. Dabei haben Verkehrsteilnehmer bzw. die Straßen- und Wegebenutzer die gegebenen Verhältnisse grundsätzlich so hinzunehmen und sich ihnen anzupassen, wie sie sich ihnen erkennbar darbieten, und mit typischen Gefahrenquellen, wie etwa Unebenheiten, zu rechnen. Ein Tätigwerden des Verkehrssicherungspflichtigen ist erst dann geboten, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die nahe liegende Möglichkeit einer Rechtsgutsverletzung anderer e...

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