Leitsatz (amtlich)

1.) Geht ein in der Gliedertaxe benannter Teilbereich eines Gliedes durch einen Unfall verloren oder wird funktionsunfähig, steht der sich daraus ergebende Invaliditätsgrad nach der Gliedertaxe unverrückbar fest.

2.) Wird unfallbedingt der linke Arm im Schultergelenk funktionsunfähig (BGH VersR 2006, 1117: "Arm im Schultergelenk"-Rechtsprechung), so sind durch den damit gegebenen Invaliditätsgrad Ausstrahlungen dieser Funktionsunfähigkeit auf den linken Arm mit abgegolten.

3.) Zusätzlich gegebene Funktionsbeeinträchtigungen des linken Ellenbogengelenks, des linken Handgelenks und der Finger der linken Hand haben nicht zur Folge, dass für diese neben dem sich aus der Funktionsunfähigkeit des linken Arms im Schultergelenk ergebenden Invaliditätsgrad eigene Invaliditätsgrade durch Addition zu berücksichtigen wären.

4.) Einem verständigen Versicherungsnehmer erschließt sich ohne weiteres, dass nach der Systematik der Gliedertaxe der Verlust bzw. die Funktionsunfähigkeit eines funktionell höher bewerteten, rumpfnäheren Gliedes den Verlust oder die Beeinträchtigung des rumpfferneren Gliedes miteinschließt.

 

Verfahrensgang

LG Siegen (Urteil vom 11.08.2010; Aktenzeichen 5 O 113/09)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 11.8.2010 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des LG Siegen wird zurückgewiesen.

Der Kläger werden die Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

 

Gründe

A. Der Kläger nimmt die Beklagte unter Behauptung bedingungsgemäßer Unfallinvalidität auf Invaliditätsleistung aus einer bei der Beklagten genommenen Unfallversicherung in Anspruch. Dem Versicherungsvertrag liegen die "A Unfallversicherungs-Bedingungen der A Gesellschaften (A AUB 2000) U 7000/03" zugrunde (im Folgenden: AUB 2000).

Vereinbart ist eine Invaliditätsgrundsumme von 111.000 EUR bei einer Progressionsstaffel von 500 % unter der Voraussetzung einer 80%igen Invalidität vor Vollendung des 50. Lebensjahres. Zusätzlich ist ein Treuebonus in der Gestalt einer Leistungserhöhung um 10 %, maximal 30.000 EUR, bei Unfällen vor dem 65. Geburtstag vereinbart.

Der Kläger erlitt am 19.7.2007 in Diyarbakir/Türkei einen Unfall, bei dem er aus großer Höhe von einer Baustellenrampe stürzte, wodurch er im gesamten linken Arm-/Schulterbereich folgende Verletzungen erlitt: einen körpernahen Oberarmkopf-Mehrfragmentbruch mit Abriss des großen Rollhügels links, einen intraartikulären Mehrfragmentbruch des linken Ellenbogens, eine Distorsion des linken Handgelenks sowie ein postoperatives komplexes regionales Schmerzsyndrom. Es verblieb eine reizlose Narbe der linken Schulter, eine talgige Hautveränderung im Bereich des linken Unterarms, eine Störung der Schweißdrüsen im linken Arm, eine hochgradig eingeschränkte Beweglichkeit im linken Schultergelenk, im linken Ellenbogengelenk sowie im Handgelenk; Handgelenk und Ellenbogen sind hochgradig entkalkt. Die Beweglichkeit der vier Langfinger und des Daumens der linken Hand ist ebenfalls eingeschränkt.

Der Kläger hat behauptet, dass bei ihm folgende Funktionsbeeinträchtigungen vorlägen:

der linke Arm im Schultergelenk zu 100 %,

oberhalb des Ellenbogengelenks zu 80 %,

unterhalb des Ellenbogengelenks zu 100 %,

im Handgelenk zu 70 %,

im Daumen zu 50 %,

im Zeigefinger zu 40 %,

in den Langfingern zu 60 %

und im kleinen Finger zu 30 %.

Der Kläger hat sich auf den Standpunkt gestellt, dass sein Invaliditätsgrad insgesamt 237 % betrage und sich wie folgt ermittle:

Arm im Schultergelenk mit 70 %,

Arm oberhalb des Ellenbogengelenks mit 52 %,

Arm unterhalb des Ellenbogengelenks zu 60 %,

Hand im Handgelenk zu 38,5 %,

Daumen mit 10 %,

Zeigefinger mit 5 %,

Finger mit 1,5 %.

Der Kläger hat gemeint, dass die Gliedertaxe von einem verständigen Versicherungsnehmer nur so verstanden werden könne, dass alle betroffenen Teilglieder in ihrem Invaliditätsgrad zu addieren seien, also eben auch über 100 % hinaus, die als Obergrenze in einer gesonderten Ziffer aufgeführt sei.

Der Kläger hat Invaliditätsleistung gemäß dem 5-fachen Satz der Invaliditätsleistung, also 555.000 EUR, zzgl. 30.000 EUR Treuebonus, insgesamt 585.000 EUR verlangt, von dem er einen seitens der Beklagten im Januar 2009 geleisteten Vorschuss von 35.000 EUR in Abzug gebracht hat.

Nach Eingang des vom LG eingeholten Sachverständigengutachtens des Dr. med. V vom 5.2.2010 hat die Beklagte weitere 42.700 EUR (70 % aus 111.000 EUR, also 77.700 EUR abzgl. 35.000 EUR) anerkannt. Diesen Betrag nebst anteiliger Zinsen hat das LG dem Kläger durch Anerkenntnisteilurteil vom 20.5.2010 zuerkannt.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 550.000 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf 120.000 EUR seit dem 13.12.2008 und auf 430.00...

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