Entscheidungsstichwort (Thema)

Kaskoversicherung: Grobe Fahrlässigkeit bei Anfahren mit weit überhöhter Geschwindigkeit, § 61 VVG

 

Leitsatz (amtlich)

Wenn ein Fahrer - nach einem Ampelstop - mit weit überhöhter Geschwindigkeit anfährt, sogleich eine "Qualmwolke" durch Reifenabrieb entsteht, sich das Fahrzeug dann beim Abbiegeversuch nach links um die eigene Achse dreht und gegen eine Leitplanke prallt, so ist dieser Unfall durch grobe Fahrlässigkeit verursacht. Dies gilt auch dann, wenn der Fahrer - ohne grobe Fahrlässigkeit - nicht daran dachte, dass das elektronische Stabilisierungsprogramm (ESP) des Wagens ausnahmsweise ausgeschaltet war.

 

Verfahrensgang

LG Essen (Urteil vom 16.08.2006; Aktenzeichen 1 O 82/06)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 16.8.2006 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des LG Essen wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufungsinstanz werden der Klägerin auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Die Klägerin nimmt die Beklagte aus einer bei dieser für einen Pkw Nissan Z 350 genommenen Vollkaskoversicherung (Selbstbeteiligung: 1.000 EUR) aufgrund eines Unfalls vom 18.6.2005 in Anspruch.

Der Zeuge X, Ehemann der Klägerin, hatte den Pkw Nissan Z 350 am 18.6.2005 gegen 11.30 Uhr an der Einmündung der Vinckestraße in den Nordring/L 511 in A vor der Ampelanlage angehalten und auf der linken von zwei Linksabbiegerspuren das Grünlicht abgewartet. In der anderen Linksabbiegerspur - also rechts daneben - stand ein weiterer Sportwagen, dessen Fahrer gleichfalls auf Grünlicht wartete. Bei Grünlicht fuhren die Fahrzeuge an. Der Pkw Nissan Z 350 fand beim Abbiegen keinen Halt mehr auf der Fahrbahn und brach aus. Unmittelbar hinter dem Einmündungstrichter der Vinckestraße drehte sich das Fahrzeug und geriet, um 180° gedreht, in die rechte Spur des Nordrings. Die linke Fahrzeugseite prallte dort gegen die Schutzplanke am rechten Fahrzeugrand. Der Nissan blieb entgegen der Fahrtrichtung stehen.

Der Fahrer des in der anderen Spur anfahrenden Fahrzeuges hielt hinter dem Klägerfahrzeug kurz an und fuhr dann weiter.

Der Zeuge X wendete den Nissan und fuhr auf dem Nordring in Fahrtrichtung ca. 300 m weiter um dort eine "Notreparatur" an dem Fahrzeug vorzunehmen.

Der am Pkw Nissan Z 350 entstandene Schaden erforderte einen Reparaturaufwand von netto 7.849,16 EUR.

Die Klägerin hat behauptet, entgegen den Aussagen im Ermittlungsverfahren gegen den Zeugen X sei dieser nicht mit unangemessener Geschwindigkeit in den Abbiegebereich hineingefahren. Die Geschwindigkeit habe nicht annähernd 70 km/h betragen. Ein Tempo von 70 km/h sei an der Unfallstelle erlaubt. Der Kurvenbereich sei verschmutzt gewesen, daher habe das Fahrzeug dort keinen Halt gefunden. Überdies habe der Zeuge X versehentlich das elektronische Stabilisierungsprogramm (ESP) deaktiviert gehabt, so dass es zum Ausbrechen des Fahrzeuges gekommen sei.

Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 6.849,16 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.8.2005 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, der Zeuge X sei an der Ampelanlage "wie ein Düsenjäger mit maximalem Schub" losgefahren, um sich mit dem anderen Sportwagen ein Rennen zu liefern. Aufgrund einer Geschwindigkeit von mindestens 70 km/h im Kurvenbereich habe er die Gewalt über das Fahrzeug verloren. Dieses Verhalten sei grob fahrlässig gewesen.

Das LG hat die Klage - ohne Durchführung einer Beweisaufnahme - abgewiesen.

Die Klage sei unbegründet. Die Beklagte sei gem. § 61 VVG von der Verpflichtung zur Leistung frei geworden, da der Ehemann der Klägerin, der Zeuge X, den Schaden grob fahrlässig herbeigeführt habe.

Im Bereich des Straßenverkehrs liege grobe Fahrlässigkeit vor, wenn das Verhalten des Fahrers objektiv grob verkehrswidrig und subjektiv schlechthin unentschuldbar sei. Hierfür spreche im vorliegenden Fall der Anschein.

Die Klägerin greift dieses Urteil mit ihrer Berufung an:

Das LG habe rechtsfehlerhaft die Beweisangebote auf Vernehmung des Zeugen X übergangen. Es habe, nachdem der zunächst geschlossene Vergleich durch die Beklagte widerrufen worden sei, ohne Beweisaufnahme in der Sache entschieden, obwohl insbesondere das Fahrverhalten des Zeugen X, dessen Vernehmung ausdrücklich durch die Klägerin beantragt worden sei, zwischen den Parteien streitig gewesen sei.

Ihr, respektive ihrem Ehemann, werde kein grob fahrlässiges oder gar vorsätzliches Handeln entgegengehalten werden können. Der Versicherer müsse den Ausschlusstatbestand i.S.d. § 61 VVG voll beweisen. Der "Anschein" genüge hierfür nicht.

Die Klägerin beantragt, das am 16.8.2006 verkündete Urteil des LG Essen abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an sie 6.849,16 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 12.8.2005 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die gegnerische Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil, indem sie ihr erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und vertieft.

Der Senat hat die Zeugen...

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