Leitsatz (amtlich)

Bei berechtigtem Entfernen von der Unfallstelle besteht keine Verpflichtung, die Polizei zu benachrichtigen, wenn der Geschädigte unverzüglich unterrichtet wird. Unverzüglich ist bei einem Nachtunfall die Unterrichtung am nächsten Morgen.

 

Normenkette

AKB § 7; StGB § 142

 

Verfahrensgang

LG Bochum (Urteil vom 25.09.2002; Aktenzeichen 6 O 306/02)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 25.9.2002 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des LG Bochum abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 6.784,24 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 19.6.2002 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Die Klägerin begehrt nach einem Pkw-Unfall aus einer bei der Beklagten genommenen Vollkaskoversicherung Erstattung des entstandenen Netto-Pkw-Schadens abzgl. Selbstbeteiligung i.H.v. 6.784,24 Euro. Dem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung (AKB) zugrunde.

Der Inhaber der Klägerin kam mit dem versicherten Pkw am frühen Morgen des 11.12.2001 gegen 2.30 Uhr in einem Gewerbegebiet von der Fahrbahn ab und beschädigte eine Grünanlage der Stadt D. insb. wurde ein Baum umgefahren. Der der Stadt entstandene Schaden belief sich auf 574 Euro. Der Inhaber der Klägerin rief per Handy seine Ehefrau und wartete am Unfallort. Nach der Behauptung der Klägerin traf die Ehefrau dort frühestens eine halbe Stunde nach dem Unfallzeitpunkt ein. Dieser Zeitraum ist auch in der bereits in erster Instanz von beiden Parteien vorgelegten Schadensanzeige angegeben. Mit dem Wagen der Ehefrau verließen beide den Unfallort. Der verunfallte Pkw blieb an der Unfallstelle. Am nächsten Morgen, zu Beginn der Geschäftszeit, informierte der Inhaber der Klägerin die Stadt D. und auch die Beklagte. Der Pkw wurde erst gegen 10 Uhr vom Unfallort abgeschleppt.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Inhaber der Klägerin habe den Tatbestand des § 142 Abs. 1 StGB verwirklicht; damit liege eine Obliegenheitsverletzung vor, welche zur Leistungsfreiheit der Beklagten führe. Wegen der Begründung und der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes in erster Instanz wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihren erstinstanzlichen Antrag weiter. Sie macht im Wesentlichen geltend: Ihr Inhaber habe mindestens 30 Minuten am Unfallort gewartet; es seien allenfalls zwei bis drei Fahrzeuge vorbeigekommen. Länger habe er in dem zur Nachtzeit einsamen Gewerbegebiet nicht warten müssen. Er habe daher den Anforderungen des § 142 StGB genügt, indem er sogleich am Vormittag die Stadt informiert habe.

Die Beklagte verteidigt das Urteil mit näheren Ausführungen. Insbesondere meint sie, der Inhaber der Klägerin habe unverzüglich die Polizei informieren müssen.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in dieser Instanz wird auf die Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen; diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

II. Die Berufung ist begründet.

Die Klägerin hat gem. §§ 12 Abs. 1 lit. e 13 AKB einen Anspruch auf Zahlung von 6.784,24 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab 19.6.2002.

1. Entgegen der Auffassung der Beklagten und des LG liegt eine Obliegenheitsverletzung nicht vor. Der Inhaber der Klägerin hat weder den Tatbestand des § 142 Abs. 1 StGB noch den Tatbestand des § 142 Abs. 2 und 3 StGB verwirklicht.

a) § 142 Abs. 1 StGB

aa) Der Senat hat davon auszugehen, dass der Inhaber der Klägerin am Unfallort jedenfalls eine halbe Stunde wartete.

Diese Behauptung des Klägers ist nicht etwa gem. § 531 Abs. 2 ZPO unbeachtlich. Die Klägerin hatte sie bereits mit der Klageschrift (dort S. 2) vorgetragen, wo ausdrücklich auf die Unfallanzeige (Anlage 2 zur Klageschrift, Bl. 8 d.A.) Bezug genommen worden ist.

Die – für das Vorliegen einer Obliegenheitsverletzung beweisbelastete – Beklagte hat für ihr Bestreiten keinen Beweis angeboten.

bb) Feststellungsbereite Personen (§ 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB) waren nicht vor Ort.

cc) Der Inhaber der Klägerin wartete eine nach den Umständen angemessene Zeit, bevor er den Unfallort verließ (§ 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB).

Maßgeblich für die Bestimmung der gebotenen Wartezeit sind die Umstände des Einzelfalls. Der Sachschaden belief sich im Streitfall auf – lediglich – 574 Euro. Die Haftungslage war eindeutig. Mit dem Eintreffen feststellungsbereiter Personen war auch bei weiterem Warten kaum zu rechnen. Zudem ließ der Inhaber der Klägerin den Unfall-Pkw zurück. (Jedenfalls) bei diesen Umständen ist eine Wartezeit von einer halben Stunde ausreichend (vgl. etwa OLG Stuttgart v. 15.12.1980 – 3 Ss 752/80, MDR 1981, 515 = NJW 1981, 1107 f.; Tröndle/Fischer, StGB, 51. Aufl., § 142 Rz. 36 m.w.N. aus d. Rspr.).

b) § 142 Abs. 2, 3 StGB

Der Inhaber der Klägerin entfernte sich somit berechtigt vom Unfallort. Den Anforderungen des § 142 Abs. 2, 3 StGB genügte er, indem er am nächsten Morgen zu Beginn der Geschäftszeit die geschädig...

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