Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorfahrt auf der gesmaten Straßenbreite

 

Leitsatz (amtlich)

Stößt eine Radfahrerin, die den Radweg einer bevorrechtigten Straße entgegen der Fahrtrichtung befährt, mit einem aus einem verkehrsberuhigten Bereich auf den Radweg einbiegenden Radfahrer zusammen, kann eine Haftungsquote von 2/3 zu Lasten des Radfahrers und 1/3 zu Lasten der Radfahrerin gerechtfertigt sein.

 

Normenkette

BGB §§ 253-254, 823, 828; StGB § 229; StVO §§ 2, 10

 

Verfahrensgang

LG Münster (Urteil vom 15.01.2013; Aktenzeichen 4 O 422/12)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 15.1.2013 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des LG Münster wie folgt abgeändert:

1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Schmerzensgeld i.H.v. 3.000 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.3.2012 zu zahlen.

2. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 863,41 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 855,91 EUR seit dem 21.3.2012 und aus 7,50 EUR seit dem 6.9.2012 zu zahlen.

3. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin 2/3 ihrer künftigen materiellen und nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden aus dem Unfallereignis vom 28.9.2010 in P zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialleistungsträger oder sonstige Dritte im Wege des gesetzlichen Forderungsübergangs übergegangen sind oder übergehen.

4. Der Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe 233,59 EUR freizustellen.

Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen. Die weiter gehende Berufung und die Anschlussberufung werden zurückgewiesen.

Von den Kosten der ersten Instanz tragen die Klägerin 74 % und der Beklagte 24 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin zu 57 % und der Beklagte zu 43 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Parteien wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten um Ansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 28.9.2010.

Die zum Unfallzeitpunkt 59 Jahre alte Klägerin fuhr am 28.9.2010 in P auf dem Fahrradweg neben der C Straße entgegen der Fahrtrichtung. In diese Richtung war der Radweg für sie nicht freigegeben. Der zum Unfallzeitpunkt 14 Jahre alte, inzwischen volljährige, Beklagte kam ebenfalls mit dem Fahrrad, für die Klägerin von links, aus dem verkehrsberuhigten Bereich der Straße "B", um nach rechts auf den Fahrradweg der C Straße abzubiegen. Die Sicht im Einmündungsbereich, in dem sich ein Mädchen auf einem Einrad aufhielt, war durch Sträucher eingeschränkt. Dort stießen die Parteien zusammen, wodurch die Klägerin zu Fall kam. Die Klägerin zog sich eine Tibiakopffraktur und eine Fibulaköpfchenfraktur links zu. Sie musste stationär behandelt werden und sich anschließend einer Reha-Behandlung unterziehen. Ihre Tätigkeit als Hauswirtschafterin auf Minijob-Basis gab sie nach dem Unfall auf. Die Klägerin verlangte vorprozessual ein Schmerzensgeld i.H.v. insgesamt 13.000 EUR sowie materiellen Schadensersatz. Der Haftpflichtversicherer des Beklagten erkannte unter dem 16.2.2012 die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche mit einer Haftungsquote von 50 % teilweise an und zahlte 603,93 EUR vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, 4.500 EUR Schmerzensgeld, 1.700 EUR Verdienstausfall, 500 EUR Haushaltsführungsschaden und 212,04 EUR weiteren materiellen Schadensersatz.

Die Klägerin hat ein weiteres Schmerzensgeld, materiellen Schadensersatz und die Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden mit der Begründung verlangt, sie sei auch bei einer Fahrt entgegen der Fahrtrichtung vorfahrtberechtigt gewesen.

Durch die angefochtene Entscheidung ist der Beklagte unter Abweisung der Klage im Übrigen zur Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes von 1.000 -EUR, Schadensersatz i.H.v. 87,35 EUR, vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten i.H.v. 171,71 EUR, jeweils nebst Zinsen verurteilt worden. Zur Begründung hat das LG ausgeführt, der Beklagte habe den Unfall verursacht, in dem er ohne ausreichend auf den vorfahrtberechtigten Verkehr zu achten, auf den Fahrradweg an der C Straße eingebogen sei. Die Klägerin treffe ein Mitverschulden von 50 %, da sie den Fahrradweg in die falsche Fahrtrichtung benutzt habe. Dieser Verkehrsverstoß sei mindestens gleichwertig. Sie habe zwar die Vorfahrt gehabt, sich aber selbst verbotswidrig verhalten. Daher sei von ihr ein erhöhtes Maß an Rücksichtnahme zu erwarten gewesen. Sie hätte im Einmündungsbereich erhöhte Vorsicht walten lassen müssen, da es sich um eine wegen des Bewuchses schlecht einsehbare Stelle gehandelt habe. Dass der Beklagte mit unangemessener Geschwindigkeit gefahren sei, habe die Klägerin nicht nachgewiesen. Aufgrund ihrer Verletzungen sei ein Schmerzensgeld von 5.500 EUR gerechtfertigt...

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