Entscheidungsstichwort (Thema)

Erwerbsobliegenheit bei unzureichender schulischer Betreuung minderjähriger Kinder

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Ausübung einer Erwerbstätigkeit im Umfang von 25 Wochenstunden erfüllt die Voraussetzungen der nach § 1570 Abs. 1 S. 2, 3 BGB gebotenen Erwerbsobliegenheit, wenn der unterhaltsberechtigte Ehegatte zwei gemeinsame Kinder im Alter von 13 und 14 Jahren betreut und erzieht, ein Kind unter gesundheitlichen Beschwerde leidet und in der vorhandenen und in Anspruch genommenen Betreuungseinrichtung keine qualifizierte Schulaufgabenbetreuung erfolgt.

 

Normenkette

BGB § 1570 Abs. 1

 

Verfahrensgang

AG Lemgo (Urteil vom 09.12.2009; Aktenzeichen 7 F 124/08)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 9.12.2008 verkündete Urteil des AG - Familiengericht - Lemgo wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg, da das AG seine Klage auf Herabsetzung bzw. Befristung des titulierten nachehelichen Unterhaltsanspruchs der Beklagten zu Recht abgewiesen hat.

Der Senat schließt sich den in allen Punkten überzeugenden Ausführungen des AG an, die durch das Berufungsvorbringen nicht erschüttert werden.

Die Beklagte kommt ihrer dem Kläger gegenüber bestehenden Erwerbsobliegenheit mit einer Tätigkeit von 25 Wochenstunden ausreichend nach, und zwar auch unter Berücksichtigung der verschärften Anforderungen nach dem seit dem 1.1.2008 geltenden Unterhaltsrecht für kinderbetreuende Ehegatten.

Nach § 1570 BGB kann ein geschiedener Ehegatte vom anderen Ehegatten wegen der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes für mindestens drei Jahre nach der Geburt Unterhalt verlangen. Die Dauer des Unterhaltsanspruchs verlängert sich, solange und soweit dies der Billigkeit entspricht, wobei die Belange des Kindes und die bestehenden Möglichkeiten zu berücksichtigen sind.

Eine Verlängerung des Unterhaltsanspruchs der Beklagten deutlich über das 3. Lebensjahr der von ihr betreuten Kinder hinaus entspricht aus kindeswohlbezogenen Gründen der Billigkeit. Der Senat legt dabei die neuere Rspr. des BGH: zuletzt Urt. v. 17.6.2009 - XII ZR 102/08 - zugrunde.

Bei der Frage der Erwerbsobliegenheit ist zunächst der Umfang der Betreuungsbedürftigkeit des Kindes zu berücksichtigen. Dabei misst der Senat der Anzahl der Kinder besondere Bedeutung bei. Denn es bedarf eines wesentlich höheren Betreuungsaufwandes, zwei oder mehr Kinder zu betreuen als ein einzelnes, wie der gesetzliche Ausgangspunkt ist.

Des Weiteren ist es unstreitig, dass der 12-jährige Sohn X unter wiederkehrenden Kopfschmerzen leidet, wenngleich der Kläger diese entgegen dem Arztbericht der Vestischen Kinder- und Jugendklinik E vom 8.5.2009 und dem Attest der kinderärztlichen Gemeinschaftspraxis Y1 und Y2 nicht als Migräneerkrankung anerkennen will. Nachgewiesen ist, dass X 85 Fehlstunden im Schuljahr 2007/2008 hatte, die u.a. auf das Kopfschmerzleiden zurückzuführen sind. Den Mutmaßungen des Klägers, der Junge habe aus anderen Gründen die Schule nicht besuchen wollen bzw. die Beklagte bausche die Erkrankung auf, um einen erhöhten Betreuungsbedarf des Kindes zu konstruieren, was nach Auffassung des Senats eher fern liegt, ist nicht weiter nachzugehen, da auch die rezidivierenden Kopfschmerzen, die der Kläger zumindest eingeräumt hat, eine erhöhte Betreuungsbedürftigkeit des Kindes, insbesondere eine Präsenz der Mutter bei kopfschmerzbedingten Ausfallzeiten erfordert. Es bedarf keiner näheren Ausführung, dass ein unter einer chronischen Erkrankung leidendes Kind, mag sie auch nicht so gravierend sein, wie dargestellt, erhöhter Zuwendung durch den betreuenden Elternteil bedarf, zumal gerade Kopfschmerzen oftmals auch belastungs- bzw. spannungsbedingt sind.

Ob nunmehr wegen des Alters der Kinder von im August 13 und 14 Jahren eine Ausweitung der zuletzt ausgeübten Tätigkeit der Beklagten geboten wäre, bedarf deshalb keiner Entscheidung, weil nachweislich keine adäquaten Betreuungsmöglichkeiten am Wohnort der Kinder existieren, die der Mutter eine Ausweitung ihrer Erwerbstätigkeit ermöglichen könnten.

Es ist unstreitig, dass es in der Schule, die V. besucht, kein Mittagessen gibt, dass des Weiteren an X Gymnasium zwar Essen von einem Cateringservice angeliefert wird, jedoch die Hausaufgabenbetreuung durch Schüler und Schülerinnen der Oberstufe erfolgt. Außerdem bietet die Z-Realschule lediglich, und dies erst seit dem 1.2.2009, eine Beaufsichtigung der Hausaufgaben an, nicht jedoch eine konkrete Hilfestellung. Dies bedeutet, dass beide Kinder nach Beendigung der Schule lediglich "verwahrt", nicht jedoch betreut und gefördert werden, wie dies im Elternhaus der Fall wäre.

Der Senat ist mit dem AG der Auffassung, dass, wenn durch das neue Unterhaltsrecht dem Elternteil schon die freie Entscheidung versagt ist, ob er die Kinder selbst betreut oder aber von Dritten betreuen lassen will, zumindest verlangt werden muss, dass die Betreuung durch Dritte nicht wesentlich schlechter ist als die häus...

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