Leitsatz (amtlich)

Eine rückwirkende Pflichtverteidigerbestellung ist grundsätzlich unzulässig.

Zu den Voraussetzungen für die Beiordnung eines Pflichtverteidigers nach § 140 StPO.

 

Verfahrensgang

LG Hagen (Entscheidung vom 10.05.2007)

 

Tenor

Die Beschwerde wird auf Kosten des Angeklagten verworfen.

 

Gründe

Der bereits mehrfach zu Geldstrafen verurteilte Beschwerdeführer ist im vorliegenden Verfahren durch Urteil des Amtsgerichts Schwerte vom 13. Februar 2007 wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist, verurteilt worden. Zugleich wurde seine mitangeklagte Ehefrau wegen desselben Delikts zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 10,- EUR verurteilt.

Gegen dieses Urteil hat der Verurteilte mit Schriftsatz seines offenbar erst nach der Hauptverhandlung beauftragten Verteidigers vom 14. Februar 2007 Berufung eingelegt.

Nachdem Berufungshauptverhandlungstermin auf den 16. Mai 2007 bestimmt worden war, hat der Vorsitzende der Strafkammer durch den angefochtenen Beschluss vom 10. Mai 2007 den Antrag auf Beiordnung des Wahlverteidigers als Pflicht-verteidiger zurückgewiesen, wobei er der Bitte des Verteidigers, noch vor der Berufungshauptverhandlung darüber zu entscheiden, nachgekommen ist.

In der Berufungshauptverhandlung vom 16. Mai 2007 hat sodann der Beschwerdeführer die Berufung wirksam zurückgenommen, so dass das Urteil seit diesem Tage rechtskräftig ist.

Mit Schriftsatz des Verteidigers noch vom 16. Mai 2007, der per Fax noch am Nachmittag desselben Tages und im Original am 18. Mai 2007 beim Landgericht eingegangen ist, hat der Verurteilte gegen den Beschluss vom 10. Mai 2007 Beschwerde eingelegt, der der Vorsitzende der Strafkammer nicht abgeholfen hat.

Die nicht näher ausgeführte Beschwerde ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.

Zwar könnten aufgrund der Formulierung der Beschwerdeschrift Zweifel an der Zulässigkeit der Beschwerde insoweit bestehen, als diese nicht im Namen und für den Angeklagten - wie noch ausdrücklich die Berufung - eingelegt worden ist, sondern durch den Rechtsanwalt im eigenen Namen (vgl. Senatsbeschluss vom 23. Februar 2006 in 2 Ws 53 u. 54/06 = NJW 2006, 2712), doch geht der Senat aufgrund der hier vorliegenden Gesamtumstände davon aus, dass es sich um eine Beschwerde des früheren Angeklagten handelt.

Vorliegend konnte eine Pflichtverteidigerbestellung durch den Senat im Beschwerdeverfahren schon deshalb nicht erfolgen, weil es sich dann um eine nachträgliche Pflichtverteidigerbestellung nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens handeln würde. Eine rückwirkende Pflichtverteidigerbestellung ist aber grundsätzlich unzulässig und wäre deshalb unwirksam (vgl. ausführlich hierzu Beschluss des hiesigen 1. Strafsenats vom 6. Juli 2004 in 1 Ws 203/04 mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Danach kommt eine mit Rückwirkung versehene Pflichtverteidigerbestellung auch dann nicht in Betracht, wenn der Beiordnungsantrag rechtzeitig vor Verfahrensabschluss gestellt und - anders als hier - sogar vom Gericht (versehentlich oder bewusst) zunächst nicht beschieden worden ist.

Eine nachträgliche Pflichtverteidigerbestellung wäre allenfalls dann dem Grunde nach denkbar, wenn die Ablehnung eines rechtzeitig gestellten und zunächst begründeten Antrags auf Beiordnung wegen der nach Antragstellung eingetretenen Verfahrensbeendigung mit der dem Gericht obliegenden, aus dem Rechtsstaats-prinzip erwachsenen prozessualen Fürsorgepflicht und dem Grundsatz des fairen Verfahrens schlechthin nicht mehr zu vereinbaren wäre (vgl den o.g. Beschluss des 1. Strafsenats vom 6. Juli 2004).

Dies kann hier letztlich aber dahingestellt bleiben, weil im Falle einer Sachentscheidung auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Beschlusses zurückgegriffen werden könnte und die Beiordnung zu Recht abgelehnt worden ist.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme insoweit Folgendes ausgeführt:

"Ein Fall der notwendigen Verteidigung nach § 140 Abs. 2 StPO ist nicht gegeben. Danach hat der Vorsitzende dem Angeklagten dann einen Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn dies wegen der Schwere der Tat oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Angeklagte nicht selbst verteidigen kann. Die Schwere der Tat ist vornehmlich nach der zu erwartenden Rechtsfolgenentscheidung zu bemessen (zu vgl. Meyer-Goßner, StPO, 49. Auflage, Rdnr. 23 zu § 140 m.w.N.) und rechtfertigt die Beiordnung eines Pflichtverteidigers bei der gegen den Angeklagten erkannten Freiheitsstrafe von drei Monaten nicht. Das Verfahren bietet zudem weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht besondere Schwierigkeiten. Es handelt sich vorliegend um einen einfach gelagerten alltäglichen Sachverhalt (Ladendiebstahl), zu dem der Verurteilte eine Darstellung des Geschehensablaufes auch ohne anwaltliche Hilfe abzugeben in der Lage gewesen ist. Unter diesen Umständen hat der Verurteilte seine Verteidigung aber auch ohne...

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