Leitsatz (amtlich)

Bei nächtlichen Überprüfungen eines Untergebrachten in Form von nächtlichen Sichtkontrollen handelt es sich um an § 21 Abs. 1 MRVG NRW zu messende besondere Sicherungsmaßnahmen.

 

Verfahrensgang

LG Bochum (Entscheidung vom 09.02.2016)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen vom 24.06.2016 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum vom 09.02.2016 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 24.11.2016 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht nach Anhörung des Justizministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen sowie des Betroffenen bzw. seines Verfahrensbevollmächtigten einstimmig beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Der angefochtene Beschluss sowie der Bescheid der LWL-Maßregelvollzugsklinik Herne vom 19.01.2016 werden aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass die nächtlichen Sichtkontrollen hinsichtlich des Betroffenen auf Grundlage der bislang hierzu ergangenen Anordnungen der LWL-Maßregelvollzugsklinik Herne rechtswidrig sind und mit sofortiger Wirkung zu unterbleiben haben.

Die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Betroffenen hat die Staatskasse zu tragen.

 

Gründe

I.

Der Betroffene befindet sich auf Grundlage der §§ 7 JGG, 63 StGB wegen einer von ihm begangenen gefährlichen Körperverletzung seit dem 15.02.2002 in der Unterbringung, die seit dem 04.02.2011 in der LWL-Maßregelvollzugsklinik Herne vollzogen wird.

Der Betroffene wendet sich vorliegend gegen zweimal nächtlich stattfindende Sichtkontrollen seines Zimmers, die in unregelmäßigen Abständen bei verschlossen bleibender Zimmertür durch eine Sicht- bzw. Kommunikationsklappe derart erfolgen, dass mit einer Taschenlampe kurz auf das Bett bzw. auf den Betroffenen geleuchtet wird, wobei der Lichtkegel der Taschenlampe auch das Gesicht des Betroffenen treffen kann. Am 08.11.2015 beantragte der Betroffene das Unterlassen dieser Kontrollen, die nach seinem unwidersprochen gebliebenen Vorbringen im gerichtlichen Verfahren seit vier Jahren erfolgen.

Der Antragsgegner lehnte dies mit Bescheid vom 19.01.2016 ab. Zur Begründung ist hierbei nach den Feststellungen des angegriffenen Beschlusses Folgendes ausgeführt worden: "Der-Antragsteller befinde sich derzeit in keinem psychopathologisch stabilen Zustand. Er nehme keine Psychopharmaka ein und pflege keine regelmäßigen Gespräche zum pflegerischen oder therapeutischen Personal. Der Zustand sei kaum bis lediglich oberflächlich und unsicherheitsbehaftet einzuschätzen. Aus dortiger Sicht verfolge der Antragsteller eine passive, auf Abwarten angelegte Haltung, die wenig Perspektive und Zuversicht auf Veränderung biete. Hinweise auf eine bestehende Suizidalität lägen nicht vor, eine solche Entwicklung sei jedoch nicht hinreichend ausschließbar. Nach therapeutischer Beurteilung gebiete die Fürsorgepflicht die Durchführung der Kontrollen und überwiege das Interesse an ungestörter Nachtruhe. Die Durchführung erfolge so wenig störend wie möglich."

Das weitere Vorbringen des Antragsgegners im gerichtlichen Verfahren wird in der angefochtenen Entscheidung zunächst dahingehend zusammengefasst, dass die nächtlichen Sichtkontrollen auf § 5 MRVG NRW i. V. m. §§ 1 Abs. 1 S. 2,' 29 Abs. 5 Hs. 1 MRVG NRW beruhten und keine besonderen Sicherungsmaßnahmen seien. Diese Kontrollen seien ermessensfehlerfrei angeordnet und geboten zur Abwendung schwerwiegender Störungen der Sicherheit. Die Antragsteller weise eine Verweigerungshaltung auf, sei mangelhaft therapeutisch angebunden und nicht hinreichend einschätzbar, so dass im Rahmen der Fürsorgepflicht durch die nächtlichen Sichtkontrollen selbstverletzendes Verhalten abgewendet werden solle. Dass das Gesicht des Betroffenen hierbei angeleuchtet werde, sei nicht zu vermeiden; auch sei keine noch mildere, gleich geeignete Form der Kontrolle möglich.

Später hat der Antragsgegner ausweislich der angefochtenen Entscheidung ergänzend dargelegt, dass der allgemeine Nachteinschluss im Rahmen der Fürsorgepflicht nächtliche Sichtkontrollen gebiete, sofern diese nicht im Einzelfall ausnahmsweise entfallen könne, wenn nämlich eine Eigen- oder Fremdgefährdung auszuschließen sei. Vorliegend sei eine Suizidalität jedoch weiterhin nicht ausschließbar, auch wenn der Antragsteller mittlerweile wieder Neuroleptika einnehme.

Den gegen den vorgenannten Bescheid eingelegten Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung hat die Strafvollstreckungskammer mit dem angefochtenen Beschluss als unbegründet zurückgewiesen.

Nach § 5 S. 2 MRVG NRW dürften - vorbehaltlich besonderer gesetzlicher Regelungen - zur Abwendung schwerwiegender Störungen für das geordnete Zusammenleben oder für die Sicherheit Einschränkungen vorgenommen werden, wenn dies unerlässlich sei. Es sei in der Sache rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner eine bei dem Betroffenen bestehende Suizidgefahr angenommen, als schwerwiegende Störung für das geordnete Zusammenleben ...

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