Entscheidungsstichwort (Thema)

Maßregelvollzug. besondere Sicherungsmaßnahmen. Feststellungsinteresse. Rechtliches Gehör

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die in Form einer über Wochen erfolgten Einzeleinschließung praktizierte Absonderung im Sinne des § 21 Abs. 1 MRVG NRW stellt einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff dar; an der mit der nachträglichen Feststellung der Rechtswidrigkeit dieser Maßnahme verbundenen Rehabilitation besteht ein schutzwürdiges Feststellungsinteresse.

2. Es verletzt den Anspruch des Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sein im gerichtlichen Verfahren erfolgtes Vorbringen zu dem mit der Absonderung verbundenen schwerwiegenden Grundrechtseingriff und dem sich daraus ergebenden Feststellungsinteresse in der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer keine erkennbare Berücksichtigung findet.

 

Normenkette

GG Art. 103 Abs. 1; MRVG NRW § 21 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Paderborn (Aktenzeichen 13 StVK 35/16)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben, soweit eine Entscheidung über den Antrag des Betroffenen auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der nach seiner am 12.08.2016 erfolgten Rückverlegung in das LWL-Zentrum für Forensische Psychiatrie M in F veranlassten Absonderung unterblieben ist.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an die Strafvollstreckungskammer beim Landgericht Paderborn zurückverwiesen.

Dem Betroffenen wird ratenfreie Prozesskostenhilfe für das Rechtsbeschwerdeverfahren bewilligt. Der Antrag auf Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. M in I wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I.

Der zu diesem Zeitpunkt noch in dem LWL-Zentrum M untergebrachte Betroffene hat mit Schreiben vom 14.09.2016 beantragt, den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den im Anschluss an die am 12.08.2016 erfolgte Verlegung in diese Einrichtung gegen den Betroffenen verhängten Absonderungsstatus mit sofortiger Wirkung aufzuheben und ihn zur Teilhabe an der Gemeinschaft zu berechtigen; zudem hat er die Feststellung der Rechtswidrigkeit dieser Maßnahme beantragt.

Nachdem die Absonderung des Betroffenen ausweislich seiner Mitteilung vom 22.09.2016 sowie einer Stellungnahme des Antragsgegners vom 23.09.2016 aufgehoben worden war, hat die Strafvollstreckungskammer angesichts der hiermit eingetretenen Erledigung des Verfahrens mit der angefochtenen Entscheidung die Kosten des Verfahrens der Staatskasse mit der Begründung auferlegt, dass der Antragsgegner keine Gründe vorgetragen habe, welche gemäß § 21 MRVG NRW die Absonderung des Betroffenen gerechtfertigt hätten.

Eine Entscheidung über den Feststellungsantrag des Betroffenen ist nicht erfolgt. In den Beschlussgründen ist hierzu ausgeführt, dass kein gesondertes Feststellungsinteresse mehr bestehe; weder sei ersichtlich, dass eine konkrete Wiederholungsgefahr drohe, noch begründe - wie näher dargelegt wird - allein das Interesse des Antragstellers, zivilrechtliche Schritte gegen den Landschaftsverband einzuleiten, den Fortgang des hiesigen Verfahrens.

Hiergegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde.

Der Landesbeauftragte für den Maßregelvollzug Nordrhein-Westfalen hält die Rechtsbeschwerde mangels Zulassungsgrundes für unzulässig.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde (§ 118 StVollzG) erfüllt die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG (II.1.). Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache vorläufig Erfolg, insofern der angefochtene Beschluss bezüglich des bislang nicht beschiedenen Feststellungsantrags aufzuheben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer bei dem Landgericht Paderborn zurückzuverweisen war (II.2.).

1.

Die Rechtsbeschwerde ist vorliegend schon deshalb zuzulassen, weil der allgemein anerkannte Zulassungsgrund der Verletzung des rechtlichen Gehörs durchgreift (vgl. Senatsbeschluss vom 16.07.2013 -III-1 Vollz (Ws) 256/13-, [...]; Arloth, StVollzG, 3. Aufl., § 116 Rn. 3, jew. m. w. N.).

Ordnungsgemäß und zutreffend hat der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde geltend gemacht, dass in der angefochtenen Entscheidung nicht erkennbar berücksichtigt worden ist, dass er im gerichtlichen Verfahren - nämlich zumindest in dem von der Strafvollstreckungskammer erwähnten Schreiben vom 22.09.2016 - ein Feststellungsinteresse erkennbar nicht nur unter den in der angefochtenen Entscheidung berücksichtigten Gesichtspunkten der konkreten Wiederholungsgefahr und der Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses, sondern auch unter Hinweis auf den mit der Absonderung verbundenen schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen geltend gemacht hat, ohne dass dies in der angefochtenen Entscheidung Berücksichtigung gefunden hätte. Damit hat die Strafvollstreckungskammer den Anspruch des Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.

Es kann auch nicht ausgeschlos...

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