Leitsatz (amtlich)

Stützt der Tatrichter seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten maßgeblich auf die Identifizierung durch einen Zeugen, der den Angeklagten in der Hauptverhandlung als Täterin wiedererkannt hat bzw. ihn bereits im Ermittlungsverfahren als Täter identifiziert hat. müssen die Urteilsgründe hinreichend deutlich erkennen lassen, dass sich das Tatgericht des beschränkten Beweiswertes eines solchen wiederholten Wiedererkennens bewusst war . Auch muss der Wiedererkennungsakt nachvollziehbar in den Urteilsgründen dargestellt werden.

 

Verfahrensgang

AG Witten (Entscheidung vom 22.05.2003)

 

Tenor

Das angefochtene Urteil wird mit den zu Grunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Witten zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Die Angeklagte ist vom Amtsgericht wegen Diebstahls zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 10 EUR verurteilt worden. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der die materielle Rüge erhoben worden ist. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, wie der Senat erkannt hat.

II.

Die Revision des Angeklagten ist zulässig und hat auch - zumindest vorläufig - in der Sache Erfolg. Die Überprüfung des angefochtenen Urteils lässt Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten erkennen.

1.

Das Amtsgericht hat festgestellt, dass die Angeklagte am späten Nachmittag des 16. November 2001 in Witten aus der Handtasche der Zeugin E.S. deren Geldbörse, in der sich mindestens 120,00 DM befunden haben, entwendet hat. Die Angeklagte hat die Tat bestritten und sich dahin eingelassen, dass sie noch nie in Witten gewesen sei. Das Amtsgericht ist auf Grund der Aussagen der Zeugen S. von der Täterschaft der Angeklagten überzeugt gewesen. Die Zeugin S. hat die Angeklagte in der Hauptverhandlung allerdings nicht als Täterin wiedererkannt, der Ehemann der Zeugin hat die Angeklagte hingegen wiedererkannt. Dazu hat das Amtsgericht in seiner Beweiswürdigung ausgeführt:

"Das Gericht folgt der Aussage des Zeugen S. insbesondere auch soweit dieser bekundet, er erkenne die Angeklagte wieder. Dabei kann dahinstehen, ob bei der Wahllichtbilderüberstellung möglicherweise Verfahrensfehler gemacht worden sind. Denn das Gericht stützt seine Aussage ausschließlich auf die Bekundung des Zeugen in der Hauptverhandlung, § 261 StPO."

2.

Diese Beweiswürdigung ist lücken- und damit rechtsfehlerhaft, was zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat ihren Aufhebungsantrag wie folgt begründet:

"Die Beweiswürdigung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Sie ist lückenhaft, sodass dem Revisionsgericht eine abschließende Überprüfung auf Rechtsfehler nicht möglich ist. Zwar darf das Revisionsgericht die Beweiswürdigung des Tatgerichts nur auf rechtliche Fehler prüfen und nicht durch eigene ersetzen (vgl. BGHSt 10, 208, 211; Meyer-Goßner. StPO, 46. Auflage, § 337 Rdnr. 26), jedoch kann das Revisionsgericht auf die Sachrüge überprüfen, ob die Urteilsgründe rechtlich einwandfrei, d. h. frei von Widersprüchen, Unklarheiten und Verstößen gegen die Denkgesetze oder gesicherte Lebenserfahrung sind. Die Überlegungen und Schlussfolgerungen brauchen dabei zwar nicht zwingend zu sein; es genügt, wenn sie nach allgemeiner Lebenserfahrung möglich sind und der Tatrichter von ihrer Richtigkeit überzeugt ist (vgl. BGHSt 29, 18, 20). Dem Tatrichter sind aber bei der ihm durch § 261 StPO eingeräumten Freiheit insoweit Grenzen gesetzt, als er die Beweise erschöpfend würdigen muss.

Das Amtsgericht stützt seine Überzeugung von der Täterschaft der Angeklagten maßgeblich auf die Identifizierung durch den Zeugen S.. Soweit das Amtsgericht dabei darauf abstellt, dass dieser Zeuge die Angeklagte in der Hauptverhandlung als Täterin wiedererkannt hat bzw. diese bereits im Ermittlungsverfahren als Täterin identifiziert hat. lassen die Urteilsgründe nicht hinreichend deutlich erkennen, dass sich das Amtsgericht des beschränkten Beweiswertes eines solchen wiederholten Wiedererkennens bewusst war (vgl. BGHSt 16, 204; OLG Düsseldorf, NStZ 1990, 506; OLG Köln, StV 1994, 67 f.; OLG Hamm - 1 Ss 1018/01 -). Eine Rechtspflicht zur Erörterung dieser Problematik drängte sich für das Amtsgericht auch deshalb auf, weil der Identifizierung durch den Zeugen im vorliegenden Fall eine maßgebliche Bedeutung zukommt (BGH StV 1997, 454).

Das Wiedererkennen durch einen Zeugen beruht auf dem Vergleich zwischen dem gegenwärtigen visuellen Eindruck mit dem Erinnerungsbild über eine frühere Wahrnehmung. Handelt es sich um ein wiederholtes Wiedererkennen, etwa auf Grund vorangegangener Lichtbildvorlagen im Ermittlungsverfahren, kann die Verlässlichkeit des Wiedererkennens schon deshalb fragwürdig sein, weil diese durch das vorangegangene Wiedererkennen beeinflusst wird. Der so gewonnene Eindruck kann das ursprüngliche Erinnerungsbild überlagern, sodass die Gefahr besteht, dass der Zeuge - ...

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