Leitsatz (amtlich)

Zu den Anforderungen an das tatrichterliche Urteil, wenn der Betroffene aufgrund eines von einem Verkehrsverstoß gefertigten Lichtbildes identifiziert werden soll.

 

Verfahrensgang

AG Paderborn

 

Tenor

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Paderborn zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Paderborn hat durch das angefochtene Urteil gegen die Betroffene "wegen Verstoßes gegen die §§ 41 II (Z. 274), 49 III StVO, 24 StVG" eine Geldbuße von 300, 00 DM festgesetzt und zugleich ein Fahrverbot von einem Monat Dauer verhängt. Insoweit hat es angeordnet, dass das Fahrverbot erst wirksam wird, wenn der Führerschein nach Rechtskraft des Urteils in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von vier Monaten seit Eintritt der Rechtskraft.

Nach den getroffenen Feststellungen hat die Betroffene als Fahrerin des Pkw BMW, amtliches Kennzeichen PB-NH 800, am 24. Oktober 2000 um 13. 30 Uhr in Paderborn auf der B 64 die dort offenbar durch Zeichen 274 auf 70 km/h begrenzte Höchstgeschwindigkeit fahrlässig um 51 km/h überschritten. Von der Täterschaft der Betroffenen hat sich das Amtsgericht durch einen Vergleich der Betroffenen mit dem bei der Messung gefertigten Foto überzeugt.

Mit ihrer Rechtsbeschwerde erhebt die Betroffene die Rüge der Verletzung materiellen Rechts und die Aufklärungsrüge. Sie begehrt die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Rechtsbeschwerde zu verwerfen.

II. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts einen zumindest vorläufigen Erfolg.

Die Urteilsgründe genügen nicht den Anforderungen, die nach der obergerichtlichen Rechtsprechung an die Identifizierung eines Betroffenen anhand eines bei einer Verkehrsordnungswidrigkeit gefertigten Lichtbildes zu stellen sind.

Der Bundesgerichtshof hat in seinemBeschluss vom 19. Dezember 1995 - 4 StR 170/95 - (DAR 1996, 98 = NJW 1996, 1420 = BGHSt 41, 376 = NZV 1996, 157 = MDR 1996, 512 = StV 1996, 413 ) insoweit grundlegend ausgeführt (vgl. NJW 1996, 1420, 1421 f. ):

"a) Ob das Lichtbild die Feststellung zulässt, dass der Betr. der abgebildete Fahrzeugführer ist, hat allein der Tatrichter zu entscheiden (BGHSt 29, 18 = NJW 1979, 2318). Es kann daher mit der Rechtsbeschwerde grundsätzlich nicht beanstandet werden, der Betr. sei entgegen der Überzeugung des Tatrichters nicht mit der auf dem Radarfoto abgebildeten Person identisch. Die Überprüfung dieser tatrichterlichen Überzeugung ist dem Rechtsbeschwerdegericht grundsätzlich versagt. Das folgt auch daraus, dass eine solche Prüfung eine Inaugenscheinnahme des Betr. voraussetzte, also ohne eine - unzulässige - (teilweise) Rekonstruktion der Hauptverhandlung nicht möglich wäre. Auch hinsichtlich der Identifizierung eines Betr. anhand eines Lichtbildes sind der freien Beweiswürdigung durch den Tatrichter indes Grenzen gesetzt. So lässt etwa ein sehr unscharfes Foto oder ein Foto, auf dem das Gesicht des Fahrers nicht oder nur zu einem geringen Teil abgebildet ist, eine Identifizierung durch bloßen Vergleich mit dem in der Hauptverhandlung anwesenden Betr. nach den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens regelmäßig nicht zu. Je nach Qualität und Inhalt des Bildes können sich ein Vergleich mit dem persönlich anwesenden Betr. und der Schluss auf seine Täterschaft von vornherein als schlechterdings unmöglich und willkürlich erweisen. Sieht der Tatrichter den Betr. gleichwohl aufgrund des Lichtbildes als überführt an, so leidet das Urteil an einem Rechtsfehler, der im Rechtsbeschwerdeverfahren mit der Sachrüge beanstandet werden kann. Soweit der Senat (in der Entscheidung BGHSt 29, 18 (22) = NJW 1979, 2318) die Auffassung vertreten hat, das Rechtsbeschwerdegericht dürfe, da ihm eine eigene Auswertung des Radarfotos verschlossen sei, auch nicht prüfen, ob das vom Tatrichter in Augenschein genommene Lichtbild für die Überzeugungsbildung (überhaupt) ergiebig sei, hält er hieran in dieser Allgemeinheit nicht fest. Allerdings setzt auch diese Prüfung eine Wertung und Würdigung des Beweismittels voraus. Diese Wertung und Würdigung ist aber - wenn auch beschränkt auf den Maßstab, den die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die Gesetze der Logik und die Erfahrungssätze des täglichen Lebens vorgeben - überprüfbar und auch ohne Rekonstruktion der Hauptverhandlung möglich.

b) Daraus folgt für die Anforderungen an die Urteilsgründe: Diese müssen so gefasst sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht prüfen kann, ob das Belegfoto überhaupt geeignet ist, die Identifizierung einer Person zu ermöglichen.

aa) Diese Forderung kann der Tatrichter dadurch erfüllen, dass er in den Urteilsgründen auf das in der Akte befindliche Foto gem. § 267 I 3 StPO i. V. mit § 71 I OWiG Bezug nimmt. Aufgrund der Bezugnahme, die deutlich und zweifel...

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