Entscheidungsstichwort (Thema)

Elterliche Sorge: Verbleibensanordnung als milderes Mittel gegenüber einem Sorgerechtsentzug

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Verbleibensanordnung gem. § 1632 Abs. 4 BGB stellt ein milderes Mittel i.S.d. § 1666a BGB ggü. dem Entzug der gesamten elterlichen Sorge nach § 1666 BGB dar.

2. Eine auf die Entziehung der elterlichen Sorge gerichtete Maßnahme nach § 1666 Abs. 1 BGB darf nur erfolgen, wenn die Verbleibensanordnung nicht geeignet oder nicht ausreichend ist, um die bestehende Gefahr für das Kindeswohl abzuwenden. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die Gefährdung des Kindeswohls nur durch einen dauerhaften unbefristeten Verbleib des betroffenen Kindes in der Pflegefamilie sichergestellt werden kann, wie z.B. bei einer festgestellten dauerhaften Erziehungsunfähigkeit der leiblichen Eltern oder dann, wenn das Verhältnis zwischen den leiblichen Eltern und den Pflegepersonen so gestört ist, dass eine am Kindeswohl ausgerichtete Ausübung der elterlichen Sorge nicht stattfindet oder nicht zu erwarten ist.

 

Normenkette

BGB § 1632 IV, §§ 1666, 1666a

 

Verfahrensgang

AG Witten (Beschluss vom 04.12.2009; Aktenzeichen 5 F 446/08)

AG Witten (Beschluss vom 16.11.2009; Aktenzeichen 5 F 446/08)

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Kindesmutter werden die Beschlüsse des AG - Familiengericht - Witten vom 16.11.2009 und vom 4.12.2009 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Es wird angeordnet, dass das minderjährige Kind M (geb. am 11.10.2006) bei den Pflegeeltern zu verbleiben hat.

Die elterliche Sorge der Kindesmutter für das minderjährige Kind bleibt bestehen.

Die Gerichtskosten des Verfahrens (erster und zweiter Instanz) werden nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

 

Gründe

I. Die am 5.2.1987 geborene Beschwerdeführerin ist die leibliche Mutter des betroffenen Kindes M (geb. am 11.10.2006). Sie ist außerdem Mutter von drei weiteren Kindern, G (geb. am 30.1.2008), B2 (geb. am 1.4.2009) und H2 (geb. am 27.3.2010). Leiblicher Vater der vier Kinder ist Herr H, mit dem die Kindesmutter seit Februar 2009 in nichtehelicher Lebensgemeinschaft zusammenlebt. Beide Eltern und das betroffene Kind sind italienische Staatsangehörige. Die Eltern von M sind arbeitslos. Eine gemeinsame Sorgeerklärung i.S.d. § 1629a I Nr. 1 BGB haben sie nicht abgegeben.

Die Beziehung der Kindeseltern zueinander war in der Vergangenheit von mehrfachen vorübergehenden Trennungen und Versöhnungen geprägt. In dieser Zeit wurde das betroffene Kind M geboren. Bei ihrer Geburt lebte die Kindesmutter alleine in einer Einzimmerwohnung. Sie war nicht krankenversichert und hatte keinerlei Vorkehrungen für die Zeit nach der Geburt des Kindes getroffen. Den Vorschlag der Mitarbeiter des Jugendamts, einer Unterbringung in einer Mutter-Kind-Einrichtung zuzustimmen, lehnte sie ab. Daraufhin wurde M - wenige Wochen nach ihrer Geburt - im Einverständnis mit der Kindesmutter bei den Pflegeeltern U und B untergebracht. Dort lebt sie bis heute. Regelmäßige Besuchskontakte des Kindes mit seiner leiblichen Mutter finden begleitet in vierwöchigen Abständen für die Dauer von jeweils einer Stunde in den Räumen des Jugendamts statt.

Mit Schreiben ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 17.7.2008 hat die Kindesmutter ihr Einverständnis mit der Unterbringung des Kindes in der Pflegefamilie widerrufen und seine Rückführung in den mütterlichen Haushalt begehrt. Auf Antrag des Jugendamts der Stadt Z1 hat das AG - Familiengericht - Witten durch Beschluss vom 11.11.2008 im Wege der einstweiligen Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht (als Teil der elterlichen Sorge) vorübergehend auf das Jugendamt der Stadt Z1 übertragen. Mit weiterem Beschluss vom 29.1.2009 hat es dem Jugendamt im Wege der einstweiligen Anordnung das Recht zur Beantragung eines Passes für das Kind übertragen, um M eine Auslandsreise mit ihren Pflegeeltern zu ermöglichen.

Zur Frage der von der Kindesmutter begehrten Rückführung des Kindes in den mütterlichen Haushalt hat das Familiengericht ein Sachverständigengutachten der Ärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie an den Kliniken F, Frau Dr. K, eingeholt. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten vom 18.6.2009 (Bl. 55 ff. d.A.) und die mündlichen Ausführungen der Sachverständigen im Termin vor dem Familiengericht vom 28.10.2009 (Bl. 109 ff. d.A.) Bezug genommen. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 16.11.2009 und dem Berichtigungsbeschluss vom 4.12.2009 hat es der Kindesmutter die elterliche Sorge für das Kind M entzogen und angeordnet, dass das Kind seinen Lebensmittelpunkt weiterhin bei den Pflegeeltern haben soll. Hinsichtlich der Einzelheiten der Beschlüsse wird auf Bl.. 132 ff. und 144 f. der Akten verwiesen.

Dagegen richtet sich die befristete Beschwerde der Kindesmutter. Sie ist der Ansicht, Gründe für die Entziehung der elterlichen Sorge lägen nicht vor. Hierzu trägt sie vor, sie habe sich bei der Geburt des Kindes in einer psychischen Ausnahmesituation befunden. Ih...

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