Leitsatz (amtlich)

Ein Verweisungsbeschluss an das örtlich für den Wohnsitz des Klägers vor Antritt seiner Strafhaft zuständige Gericht ist nicht deswegen willkürlich und ohne Bindungswirkung, weil das verweisende Gericht nicht geprüft hat, ob der bisherige Wohnsitz im Zuge des Haftantritts entfallen ist. Gibt ein Inhaftierter beim Haftantritt seine bisherige Wohnung auf und wird er am bisherigen Wohnort polizeilich abgemeldet, bedeutet dies nicht zwingend, dass auch sein Wohnsitz am bisherigen Wohnort aufgegeben werden soll und damit gem. § 7 III BGB als Wohnsitz entfällt.

 

Normenkette

ZPO §§ 7, 36 Abs. 1 Nr. 6

 

Verfahrensgang

AG E.

 

Tenor

Zuständig ist das AG E.

 

Gründe

I. Der Antragsteller beantragte im Januar 2016 beim AG N die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen. Zu diesem Zeitpunkt saß er in der JVA N ein, unter deren Anschrift er den Antrag stellte. Das AG N forderte ihn auf, seinen "Wohnort (vor Inhaftierung)" mitzuteilen. Hierauf teilte der Antragsteller vormalige Anschriften mit, und zwar einen "letzten Wohnort" in I-Bad-N und einen "vorletzten Wohnort" in M-M1.

Das AG N hat sodann darauf hingewiesen, dass es Bedenken gegen seine örtliche Zuständigkeit habe, da sich der Wohnsitz des Antragstellers in I-Bad-N befinde. Maßgeblich sei der letzte Wohnort vor Inhaftierung, da der Antragsteller in der Justizvollzugsanstalt keinen Wohnort begründet habe. Daraufhin bat der Antragsteller um Verweisung an das AG E. Mit Beschluss vom 20.02.2016 erklärte sich das AG N für örtlich unzuständig und verwies das Verfahren an das AG E. Dieses erklärte sich mit Beschluss vom 23.05.2016 ebenfalls für örtlich unzuständig und lehnte die Übernahme ab. Der Antragsteller habe gerade nicht angegeben, seinen Wohnort bei Antragstellung im Zuständigkeitsbereich des AG E als Insolvenzgericht gehabt zu haben, sondern habe ausdrücklich seinen letzten Wohnsitz dort benannt. Abzustellen sei gem. § 16 ZPO auf den Aufenthaltsort, der sich bei Antragstellung in N befunden habe. Mit Beschluss vom 13.06.2016 hat das AG N die Sache dem Oberlandesgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt. Es bleibt bei seiner Auffassung, dass der Antragsteller bei Antragstellung seinen Wohnsitz in I-Bad-N gehabt habe. Durch den Antritt der Strafhaft habe er diesen nicht aufgegeben, weshalb er nicht wohnsitzlos sei und deshalb § 16 ZPO nicht einschlägig sei.

Im Rahmen seiner Anhörung durch den Senat hat der Antragsteller mitgeteilt, dass er derzeit wohnungslos sei und in der JVA C-T gemeldet sei. Nach der Haft wolle er wieder nach M oder I-Bad-N ziehen, weshalb er bitte, dass das AG E zuständig werde. Nach einer von ihm vorgelegten Haftbescheinigung sitzt er seit dem 04.03.2015 ein, als voraussichtlicher Haftaustritt wird der 16.03.2017 benannt. Ferner legt er eine Melderegisterauskunft vom 09.08.2016 vor, die eine aktuelle Wohnung ("seit: 27.04.2016") in E und eine weitere Wohnung ohne Anschrift "seit 09.03.2015" sowie frühere Wohnungen in I-Bad-N (15.09.2014-09.03.2015) und M ("-15.09.2014") ausweist.

II. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 4 InsO i.V.m. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Verschiedene Gerichte, die AGe N und E, haben sich jeweils für unzuständig erklärt. Das Oberlandesgericht Hamm ist gemäß § 4 InsO i.V.m. § 36 Abs. 1 ZPO als das im Verhältnis zu beiden AGen zunächst höhere Gericht zur Entscheidung berufen.

Zuständig ist das AG E.

Dies folgt bereits aus dem bindenden Verweisungsbeschluss des AG N. Umstände, die ausnahmsweise die Bindungswirkung dieses Beschlusses entfallen lassen könnten, sind nicht ersichtlich. Die Bindungswirkung gemäß § 4 InsO i.V.m. § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO wird nicht schon durch die bloße Unrichtigkeit der Beurteilung der Zuständigkeitsfrage infolge eines einfachen Rechtsirrtums des verweisenden Gerichts in Frage gestellt. Unbeachtlich ist ein solcher Beschluss nur dann, wenn er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht oder schwere offensichtliche Rechtsmängel aufweist oder gar jeder Rechtsgrundlage entbehrt und aus diesen Gründen objektiv willkürlich ist (zur Bindungswirkung von Verweisungen in Insolvenzsachen vgl. nur: OLG Naumburg, Beschl. v. 28.03.2001 - 5 AR 1/01 - zitiert nach juris, dort Tz. 6; Uhlenbruck/Pape, 14. Aufl. 2015, § 4 InsO Rn. 15). Ein solcher Ausnahmefall, wie er zum Beispiel bei der Verweisung durch ein nach damaligem Erkenntnisstand zuständiges Gericht unter Übergehung eines eindeutigen Zuständigkeitsvorschrift vorliegt, ist hier nicht zu erkennen (vgl. zum Umfang der Bindungswirkung nur: Zöller/Greger, 31. Auflage, 2016, § 281 ZPO Rn. 17 m.w.N.).

Gem. § 3 S. 1 InsO ist für die Entscheidung über den Insolvenzantrag das Gericht zuständig, in dessen örtlichen Zuständigkeitsbereich der Insolvenzschuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat, wobei auf den Zeitpunkt der Anbringung des Insolvenzantrags abzustellen ist (vgl. OLG Naumburg, Beschl. v. 28.03.2001 - 5 AR 1/01 - zitiert nach juris, dort Tz. 9).

Der allgemeine Gerichtsstand einer natürliche...

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