Leitsatz (amtlich)

Tätlichkeiten gegenüber Verfahrensbeteiligten oder Zuhörern sind grundsätzlich Ungebühr im Sinne des § 178 GVG.

 

Verfahrensgang

LG Hagen (Entscheidung vom 17.02.2005)

 

Tenor

Die Beschwerde wird als unbegründet verworfen.

Der hilfsweise gestellte Antrag, die weitere Vollziehung des angefochtenen Beschlusses auszusetzen, ist damit gegenstandslos.

 

Gründe

Im vorliegenden Strafverfahren begann am 4. Februar 2005 vor der Jugendkammer des Landgerichts Hagen eine auf mehrere Tage anberaumte Hauptverhandlung gegen die Angeklagten wegen eines vollendeten und eines versuchten Tötungsdeliktes sowie anderer Straftaten.

Der für einen späteren Zeitpunkt als Zeuge geladene Beschwerdeführer hatte vor Eröffnung der Sitzung im Zuhörerbereich Platz genommen. Als der Angeklagte A. noch in Abwesenheit der Mitglieder der Strafkammer in den Sitzungssaal geführt wurde und diesen betrat, verließ der Beschwerdeführer seinen Sitzplatz und den Zuhörerbereich, stürmte schnellen Schrittes in Richtung der Sitzbankreihe und Tischreihe der Angeklagten und ihrer Verteidiger und rannte in offenkundiger Absicht, den Angeklagten A. tätlich anzugreifen, auf diesen zu. Bevor er den Angeklagten erreicht hatte, konnte er an der Fortsetzung seines Tuns durch das Eingreifen einer Justizhauptwachtmeisterin gehindert werden, die bei dem Versuch, den Beschwerdeführer festzuhalten, zu Fall kam und sich eine Handverletzung zuzog. Erst durch das zusätzliche Eingreifen eines weiteren Justizbeamten konnte der Beschwerdeführer auf dem Boden fixiert werden.

Nahezu gleichzeitig war auch die Ehefrau des Beschwerdeführers, die als Nebenklägerin zugelassene Mutter des durch die Straftaten der Angeklagten getöteten Mädchens, über die Richtertheke auf den Angeklagten A. zugesprungen, um ihn körperlich anzugreifen. Auch sie konnte von einem Justizbediensteten daran gehindert werden. Noch ein weiterer Zuhörer versuchte sodann, in Richtung der Anklagebank zu laufen, wurde daran jedoch von dem anwesenden Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft gehindert, der dabei im Wadenbereich verletzt wurde.

Aufgrund dieser Vorfälle wurde der Beginn der Hauptverhandlung zunächst um mehr als eine Stunde verschoben und bereits alsbald nach Verlesung der Anklageschrift früher als zunächst vorgesehen beendet.

Die Strafkammer hatte sich zuvor die Verhängung eines Ordnungsmittels gegen den Beschwerdeführer vorbehalten, nachdem dieser vorläufig festgenommen und aus dem Sitzungssaal entfernt worden war.

Nach Unterbrechung der Hauptverhandlung und Fortsetzung am 17. Februar 2005 wurde dem wiederum erschienenen Beschwerdeführer Gelegenheit gegeben, sich zu der Verhängung eines Ordnungsmittels wegen seines Verhaltens zu Beginn des ersten Hauptverhandlungstages zu äußern.

Nachdem er hierzu keine Erklärung abgegeben hatte, wurde gegen ihn durch den angefochtenen Beschluss gemäß § 178 Abs. 1 u. 2 GVG wegen Ungebühr eine sofort vollziehbare Ordnungshaft von drei Tagen festgesetzt und seitdem vollstreckt.

Die gegen diesen Beschluss noch am selben Tage eingelegte und beim Landgericht Hagen eingegangene - befristete - Beschwerde ist gemäß § 181 Abs. 1 GVG zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.

Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass sich der Beschwerdeführer, was er selbst nicht in Abrede stellt, objektiv einer Ungebühr nach § 178 Abs. 1 GVG schuldig gemacht hat, indem er unmittelbar vor Beginn der Sitzung versucht hat, den Angeklagten A. tätlich anzugreifen, wobei er an der Fortsetzung seines Tuns nur durch das Eingreifen von Justizbediensteten gehindert werden konnte.

Ungebühr i.S.d. § 178 Abs. 1 GVG ist ein erheblicher Angriff auf die Ordnung in der Sitzung, auf deren justizförmigen Ablauf, auf den Gerichtsfrieden und damit auf die Würde des Gerichts (vgl. Senatsbeschluss vom 28. November 2000 in 2 Ws 292 u. 296/00 = NStZ-RR 2001, 116 = VRS 100, 29 = DAR 2001, 134 = StraFo 2001, 132; Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl., § 178 GVG, Rdnr. 2).

Dabei sind Tätlichkeiten gegenüber Verfahrensbeteiligten oder Zuhörern grundsätzlich Ungebühr im Sinne der genannten Vorschrift (vgl. BGHSt 47, 105 = NJW 2001, 3275; LR-Wickern, StPO, 25. Aufl., Rdnr. 10 zu § 178 GVG; KK-Diemer, StPO, 5. Aufl., Rdnr. 3 zu § 178 GVG).

Die Umstände des Vorfalles hat das Landgericht auch in hinreichender Weise entsprechend dem Protokollierungserfordernis des § 182 GVG in die Sitzungsniederschrift aufgenommen.

Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist auch von einer schuldhaften Ungebühr auszugehen.

Wie die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme zutreffend ausgeführt hat, kann zwar in Extremfällen ein Affektsturm zu einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung und damit letztlich gemäß § 20 StGB möglicherweise zu einer Schuldunfähigkeit führen. Dabei müssen aber verschiedene äußere und innere Faktoren zusammenwirken, die das seelische Gefüge des Täters zerstören oder tiefgreifend erschüttern. Es genügt dabei jedoch nicht, dass sich der Betroffene in eine völlig unangemessene Erregung hineingesteiger...

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