Leitsatz (amtlich)
1) Wird eine Erbschaft ausdrücklich "aus allen Berufungsgründen" ausgeschlagen, kann davon ausgegangen werden, dass dem Erklärenden der Berufungsgrund gleichgültig war und er auf eine - wie auch immer geartete - Beteiligung am Nachlass keinen Wert legte.
2) Eine Irrtum über den Berufungsgrund kann dann für die Erklärung nicht kausal geworden sein.
Normenkette
BGB §§ 1949, 1954, 119 Abs. 1
Verfahrensgang
AG Werl (Beschluss vom 22.02.2010; Aktenzeichen 5 VI 241/09) |
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird abgeändert.
Der Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1) und 2) vom 6.11.2009 wird zurückgewiesen.
Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet in beiden Instanzen nicht statt.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf bis zu 14.000 EUR festgesetzt.
Dem Beteiligten zu 3. wird für das Beschwerdeverfahren ratenzahlungsfreie Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin L in C bewilligt.
Gründe
Die Beschwerde des Beteiligten zu 3. gegen den nach § 352 Abs. 1 und 2 FamFG ergangenen Feststellungsbeschluss des AG ist gem. §§ 58 ff. FamFG zulässig, sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt (§§ 63 Abs. 1 und 3; 64 Abs. 1 und 2 FamFG). Der Beschwerdewert von 600 EUR (§ 61 Abs. 1 FamFG) ist überschritten. Der Beteiligte zu 3. ist nach § 59 Abs. 1 FamFG beschwerdebefugt, da er ein gesetzliches Erbrecht geltend macht, das in dem von dem AG angekündigten Erbschein nicht aufgeführt ist.
Die Beschwerde ist auch begründet und führt zur Abänderung des amtsgerichtlichen Feststellungsbeschlusses. Der von den Beteiligten zu 1. und 2. in der notariellen Urkunde vom 6.11.2009 (UR-Nr. 545/2009 des Notars N) beantragte Erbschein kann nicht erteilt werden, da er die Erbfolge falsch wiedergeben würde.
Dass sich die Erbfolge nach dem Gesetz richtet, ist unstreitig. Das Ehegattentestament vom 2.12.1999 enthält lediglich eine Alleinerbeinsetzung des überlebenden Ehegatten; da der Ehemann der Erblasserin vorverstorben ist, ist dieses Testament bezogen auf den vorliegenden Erbfall gegenstandslos. Das handschriftliche Testament vom 31.1.2008 ist entgegen § 2247 Abs. 1 BGB nicht unterschrieben und somit nach § 125 S. 1 BGB nichtig. Das Schriftstück vom 8.2.2009 enthält nur eine Vollmacht und keine letztwilligen Verfügungen.
Dementsprechend ist die Erblasserin ursprünglich aufgrund gesetzlicher Erbfolge gem. § 1924 BGB zu gleichen Teilen von ihren Kindern C2 (Beteiligter zu 1.), C3 (Beteiligte zu 2.) und C4 beerbt worden.
C4 hat jedoch durch die an das Nachlassgericht gerichtete, öffentlich beglaubigte Erklärung vom 21./22.7.2009 die Erbschaft wirksam ausgeschlagen mit der Folge, dass er seine Erbenstellung rückwirkend verloren hat (§ 1953 Abs. 1 BGB) und sein Erbteil rückwirkend zu gleichen Teilen seinen Kindern als Nächstberufenen angefallen ist (§§ 1953 Abs. 2, 1924 Abs. 3 und 4 BGB). Die Ausschlagungserklärung war formgerecht (§ 1945 Abs. 1 BGB). Sie ist am 8.8.2009 bei dem nach dem damals geltenden § 73 Abs. 1 FGG örtlich zuständigen AG Werl eingegangen. Da seit dem Eintritt des Erbfalls (8.7.2009) noch keine sechs Wochen verstrichen waren, erfolgte die Ausschlagung auf jeden Fall fristgerecht (§ 1944 BGB).
Die Ausschlagung ist weder nach § 1949 BGB unwirksam bzw. gegenstandslos, noch greift die unter dem 28.10.2009 erklärte Anfechtung der Ausschlagung durch.
C4 hat geltend gemacht, er sei bei der Anfechtung irrtümlich davon ausgegangen, dass das privatschriftliche Testament vom 31.1.2008, in dem seine Geschwister - die Beteiligten zu 1. und 2. - als Erben eingesetzt wurden, gültig sei, so dass er die Ausschlagungserklärung in Unkenntnis der (wahren) Rechtslage abgegeben habe. Ob diese Darstellung zutreffend ist, bedarf keiner abschließenden Entscheidung. Auffällig ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass der Beteiligte zu 1. bereits in seinem früheren Erbscheinsantrag vom 23.7.2009 - also zeitnah zu der Ausschlagungserklärung des C4 - das Testament vom 31.1.2008 als formunwirksam bezeichnet und gleichwohl eine Ausschlagungserklärung seines Bruders Dieter "aus jedem Berufungsgrunde" angekündigt hat. Auch fällt auf, dass die Anfechtung erklärt wurde, nachdem die Rechtspflegerin des AG den Beteiligten zu 1. sinngemäß darauf hingewiesen hatte, dass anstelle des C4 nunmehr dessen Kinder zum Zuge kommen würden.
Aber auch wenn man davon ausgeht, dass C4 bei der Ausschlagung fälschlich von der Wirksamkeit des privatschriftlichen Testaments vom 31.1.2008 ausgegangen ist, ist dieser Irrtum im Ergebnis unbeachtlich. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Fehlvorstellung des C4 als Irrtum über den Berufungsgrund i.S.d. § 1949 BGB (Unkenntnis seiner Stellung als gesetzlicher Miterbe) oder als im Rahmen der Anfechtung (§§ 1954, 1955 BGB) zu berücksichtigender Inhaltsirrtum i.S.d. § 119 Abs. 1, Alt. 1 BGB einzustufen ist. Es ist jedenfalls nicht feststellbar, dass dieser Irrtum für die Ausschlagung kausal geworden ist. Hierfür tragen die Beteiligten zu 1) und 2) die materielle Feststellungslast, weil sie mit ih...