Leitsatz (amtlich)

Wenn sich Eheleute in einem gemeinschaftlichen Testament wechselseitig zu Alleinerben und zu Schlusserben teils Verwandte nur des einen Ehegatten und teils Verwandte nur des anderen Ehegatten einsetzen, so ist im Zweifel nur davon auszugehen, dass die gegenseitigen Erbeinsetzungen und die zugunsten der Verwandten des anderen Ehegatten getroffenen Verfügungen im Verhältnis der Wechselbezüglichkeit zueinander stehen, nicht jedoch, dass auch die Zuwendungen zugunsten der eigenen Verwandten voneinander abhängen. Es entspricht vielmehr der Lebenserfahrung, dass ein Ehegatte regelmäßig dem anderen das Recht belassen will, die Einsetzung derjenigen Schlusserben abzuändern, die nur mit dem überlebenden Ehegatten verwandt sind.

Der Beginn des Laufs der Ausschlagungsfrist setzt nach § 1944 Abs. 2 BGB positive Kenntnis von dem Anfall der Erbschaft und dem Grund der Berufung voraus, wobei diese Kenntnis bei gewillkürter Erbfolge frühestens mit der Bekanntgabe der letztwilligen Verfügung vorliegt. Kenntnis setzt ein zuverlässiges Erfahren der maßgeblichen Umstände voraus, aufgrund dessen ein Handeln erwartet werden kann. Ein Irrtum im Bereich der Tatsachen kann eine Kenntnis in diesem Sinne ebenso verhindern wie eine irrige rechtliche Beurteilung, wenn deren Gründe nicht von vornherein von der Hand zu weisen sind.

 

Normenkette

BGB §§ 1944, 1945 Abs. 1, § 1953 Abs. 1-2, § 2094 Abs. 1, §§ 2265, 2270 Abs. 1, § 2271 Abs. 2

 

Verfahrensgang

AG Lemgo (Aktenzeichen 12 VI 867/19)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 3) vom 20.03.2020 wird der Beschluss des Amtsgerichts - Nachlassgericht - Lemgo vom 17.02.2020 dahingehend abgeändert, dass die Tatsachen, die zur Begründung des Erbscheinantrages des Beteiligten zu 3) vom 20.11.2020 erforderlich sind, für festgestellt erachtet werden. Das Amtsgericht - Nachlassgericht - Lemgo wird angewiesen, dem Beteiligten zu 3) einen Erbschein mit folgendem Inhalt zu erteilen:

Die am 00.00.2019 verstorbene B, geborene C, geboren am 00.00.1946 in D, ist von dem Beteiligten zu 3) als Vorerbe allein beerbt worden. Es ist Nacherbschaft angeordnet. Nacherbe nach dem Tod des Beteiligten zu 3) ist der Beteiligte zu 1).

Die Gerichtsgebühren für den Erbscheinsantrag trägt der Beteiligte zu 3). Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens sowie die außergerichtlichen Kosten der Beteiligten zu 2) und 3) in beiden Instanzen werden dem Beteiligten zu 1) auferlegt.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Der Beteiligte zu 1) ist der Sohn der Erblasserin aus deren erster Ehe. In zweiter Ehe war die Erblasserin mit F verheiratet, aus dessen erster Ehe die Beteiligte zu 2) stammt. Die Ehe der Erblasserin mit F blieb kinderlos.

Am 12.02.1997 errichteten die Erblasserin und F ein gemeinschaftliches Testament, in dem sie sich gegenseitig als Alleinerben und die Beteiligten zu 1) und 2) als Erben des Längstlebenden zu gleichen Teilen einsetzten.

Am 00.00.2000 errichteten sie vor dem Notar G in H ein gemeinschaftliches notarielles Testament (UR-Nr. .../2000, Bl. 74 ff. der Akte 12 IV 204/19, AG Lemgo), in dem sie sich - nach vorsorglichem Widerruf früherer letztwilliger Verfügungen - gegenseitig zu Alleinerben einsetzten. Ferner bestimmten sie, dass Erben des Längstlebenden die Beteiligten zu 1) und 2) zu gleichen Teilen, ersatzweise deren Abkömmlinge, sein sollten. Die Schlusserbeneinsetzung sollte entfallen, falls das nach dem Tod des Erstversterbenden pflichtteilsberechtigte Kind den Pflichtteil fordern sollte. Unter Ziffer 4. ist folgende Regelung aufgenommen:

"Der Längstlebende von uns kann über den Nachlaß frei verfügen. Eine Befugnis zur Änderung dieser Verfügung von Todes wegen ist damit jedoch nicht verbunden."

Die Erblasserin errichtete sodann am 00.00.2005 ein privatschriftliches Testament mit folgendem Inhalt:

"Mein letzter Wille!

Ich, B, geb. C, geb. am 00.00.1946 in D, wohnhaft in E, I-Straße ... verfüge für den Fall meines Todes, das mein Ehemann F über das ges. Vermögen, Sparbücher, Eigentumswohnung u.s.w. allein verfügen kann. Erst nach unserer beiden Todes sollen die Kinder J geb. am 00.00.1969 wohnhaft in ... K, L-Straße ... und M geb. am 00.00.1963 wohnhaft in ... N O-Straße ... das Erbe antreten können. (zu gleichen Teilen)"

Das Testament ist sowohl von der Erblasserin als auch ihrem Ehemann unterschrieben worden.

Am gleichen Tag errichtete der Ehemann der Erblasserin ebenfalls ein privatschriftliches Testament mit nahezu identischem Wortlaut, das sowohl von ihm als auch der Erblasserin unterzeichnet worden ist.

Der Ehemann der Erblasserin verstarb am 00.00.2011 und ist von dieser allein beerbt worden.

Am 00.00.2018 errichtete die Erblasserin ein weiteres handschriftliches Testament. Darin setzte sie den Beteiligten zu 3) - ihren Lebensgefährten - zu ihrem Alleinerben ein und bestimmte, dass nach dessen Tod der Beteiligte zu 1) alles erbe, was noch übrig sei. Ergänzend verfügte die Erblasserin, dass der Beteiligte zu 3) von dem Erbe nichts verkaufen oder verschenken dürfe.

Wege...

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