Verfahrensgang

AG Dortmund (Entscheidung vom 01.06.2017; Aktenzeichen 702 Gs 936/17)

 

Tenor

  1. Der Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Hamm vom 07.06.2017 auf Anordnung der vorläufigen Auslieferungshaft gegen den Verfolgten wird abgelehnt.
  2. Die Festhalteanordnung des Amtsgerichts Dortmund vom 01.06.2017 (702 Gs 936/17) wird aufgehoben.
  3. Anordnung des mitunterzeichnenden Vorsitzenden:

    Die sofortige Haftentlassung des Verfolgten in vorliegender Sache wird angeordnet.

 

Gründe

I.

Die Türkei ersucht um Verhaftung des Verfolgten zwecks Auslieferung zur Strafvollstreckung. Dem Ersuchen liegen Urteile des Obersten Gerichtshofs in Erzurum vom 21.01.2010 (Aktenzeichen: 2008/284 und 2010/18) und des Amtsgerichts in Borcka vom 12.09.2013 (Aktenzeichen: 2012/109 und 2013/83) zugrunde.

Mit Urteil des Obersten Gerichtshofs in Erzurum vom 21.01.2010 wurde der Verfolgte zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren verurteilt, die noch in voller Höhe zu vollstrecken ist. Dem Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Von Februar 2004 bis Februar 2005 war der Verfolgte Mitglied einer kriminellen Vereinigung, deren Ziel die Manipulation von öffentlichen Ausschreibungen war. Sofern ein Einwirken auf die Anbietenden nicht möglich war, bedrohte der Verfolgte Mitarbeiter der Firmen, die den Zuschlag erhielten. So verübte der Verfolgte am 19.11.2004 einen Überfall auf die Baustelle eines öffentlichen Anbieters, bei dem er unter Gewaltanwendung 40.000,00 türkische Lira erbeutete und bei dem ein Mitarbeiter des Anbieters verletzt wurde.

Mit Urteil des Amtsgerichts in Borcka vom 12.09.2013 wurde der Verfolgte zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt, von der noch ein Jahr und fünf Tage zu vollstrecken sind. Dem Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Am 10.09.2009 begab sich der Verfolgte zu einem Gebäude einer politischen Partei in Borcka. Dort gab er mehrere Schüsse ab, wobei er Munition verwendete, zu deren Besitz er nicht berechtigt war. Durch die Schüsse wurden mehrere Fenster beschädigt.

Der Verfolgte ist am 01.06.2017 in X vorläufig festgenommen worden und befindet sich aufgrund der Festhalteanordnung des Amtsgerichts Dortmund vom selben Tage derzeit in Auslieferungshaft in der Justizvollzugsanstalt Dortmund.

Im Rahmen seiner Anhörung durch den Ermittlungsrichter am Amtsgericht in Dortmund am 01.06.2017 hat der Verfolgte Einwendungen gegen seine Auslieferung erhoben. Zu seinen persönlichen Verhältnissen hat er angegeben, einen Cousin in Y zu haben. Er sei am Tag seiner Verhaftung nach Deutschland eingereist und habe vorgehabt, am 08.06.2017 wieder ausreisen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Zuschrift vom 07.06.2017 beantragt, gegen den Verfolgten die vorläufige Auslieferungshaft anzuordnen.

II.

Der Antrag der Generalstaatsanwaltschaft auf Anordnung der vorläufigen Auslieferungshaft war abzulehnen.

Die Auslieferung des Verfolgten in die Türkei zur Strafvollstreckung erscheint

wegen eines damit verbundenen möglichen Verstoßes gegen die völkerrechtlich verbindlichen Mindeststandards bezüglich der Haftbedingungen in der Türkei gem. § 73 S. 2 IRG derzeit unzulässig, so dass die Anordnung der förmlichen Auslieferungshaft nicht in Betracht kommt, § 15 Abs. 2 IRG.

Ein Verstoß gegen grundrechtsgleiche und rechtsstaatliche Garantien kann wegen der grundsätzlichen, im vertraglichen Bereich bestehenden Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland zur Auslieferung und der Achtung und dem Respekt vor fremden Rechtsordnungen nur beschränkt auf eine Verletzung ihres Kernbereiches zu einem Auslieferungshindernis führen, wobei hierfür maßgeblich ist, ob die Auslieferung und ihr zugrundeliegende Akte gegen den nach Art. 25 GG völkerrechtlich verbindlichen Mindeststandard sowie gegen unabdingbare verfassungsrechtliche Grundsätze der öffentlichen Ordnung verstoßen würden (vgl. OLG Hamm, Beschlüsse vom 10. September 2013, 2 Ausl. 95/11, juris und vom 14. Juli 2016, III-2 Ausl. 93/16). Damit ist eine Auslieferung unzulässig, wenn diese fundamentalen Grundsätze der deutschen Rechtsordnung oder dem völkerrechtlich verbindlichen Mindeststandard auf dem Gebiet der Menschenrechte widerspricht (vgl. BVerfG, NJW 1975, 1; OLG Karlsruhe, NStZ 2005, 351; OLG Hamm, Strafverteidiger 2008, 648; OLG Düsseldorf, NJW 1990, 1429). Das ist der Fall, wenn der ersuchte Staat mit einer Rechtshilfehandlung dazu beitragen würde, dass der Ausgelieferte der Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe ausgesetzt würde. Diese Mindestvoraussetzungen gehören inzwischen zum festen Bestand des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes (vgl. BVerfG, Strafverteidiger 2004, 440).

An diesem Maßstab gemessen, erscheint die Auslieferung des Verfolgten in die Türkei nach derzeitigem Erkenntnisstand von vornherein unzulässig, da es konkrete Anhaltspunkte dafür gibt, dass die ihn dort in der Haft erwartenden Haftbedingungen völkerrechtlichen Mindeststandards nicht genügen.

Der Senat ist - in Übereinstimmung mit dem Kammergericht Berlin (vgl. Besc...

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