Leitsatz (amtlich)

Angaben des Betroffenen zu beruflichen oder wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die ein Absehen vom Fahrverbot begründen sollen, dürfen vom Tatrichter nicht ungeprüft übernommen werden. Vielmehr muss das Urteil sich mit der Glaubhaftigkeit von Angaben des Betroffenen auseinandersetzen, der sich auf besondere Härten wie etwa drohenden Existenz- oder Arbeitsplatzverlust beruft.

 

Verfahrensgang

AG Herford (Entscheidung vom 16.12.2003)

 

Tenor

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den zu Grunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Herford zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Herford hat den Betroffenen durch Urteil vom 16. Dezember 2003 wegen einer fahrlässig begangenen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 200,00 EUR verurteilt, von der Verhängung des im Bußgeldbescheid vom 06. August 2003 angeordneten Fahrverbotes von einem Monat jedoch abgesehen.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft Bielefeld mit ihrer auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Rechtsbeschwerde. Die Generalstaatsanwaltschaft ist der Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Bielefeld beigetreten.

II.

Die zulässige Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hat einen zumindest vorläufigen Erfolg. Die Rechtsfolgenentscheidung des angefochtenen Urteils weist einen materiell-rechtlichen Mangel auf. Die Begründung, mit der das Amtsgericht von der Verhängung des Regelfahrverbotes abgesehen hat, hält der rechtlichen Überprüfung nicht Stand.

1.

Die Erwägungen, mit denen das Amtsgericht von der Verhängung eines Fahrverbotes gem. § 4 Abs. 1 Nr. 1 BKatV in Verbindung mit lfd. Nr. 11.3.6 der Tabelle 1 c) des Bußgeldkataloges, § 4 Abs. 4 BKatV, abgesehen hat, sind rechtsfehlerhaft. Zwar kann nach § 4 Abs. 4 BKatV in Ausnahmefällen unter Erhöhung der Geldbuße von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen werden. Nach obergerichtlicher Rechtsprechung reichen hierfür erhebliche Härten im Einzelfall oder aber eine Vielzahl für sich genommener gewöhnlicher durchschnittlicher Umstände aus (BGH NZV 1992, 117, 119; Jagusch-Henschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl., Rdnr. 24 f. zu § 25 StVG m.w.N.). Die Entscheidung, ob trotz der Verwirklichung des Regeltatbestandes der Bußgeldkatalogverordnung der Einzelfall einen solchen Ausnahmecharakter hat, unterliegt in erster Linie der tatrichterlichen Würdigung. Dem Tatrichter ist jedoch insoweit kein rechtlich ungebundenes freies Ermessen eingeräumt, vielmehr ist der ihm verbleibende Entscheidungsspielraum durch gesetzlich niedergelegte und durch von der Rechtsprechung herausgearbeitete Zumessungskriterien eingeengt. Insoweit unterliegt die verhängte Rechtsfolge hinsichtlich ihrer Angemessenheit in gewissen Grenzen der Kontrolle durch das Rechtsbeschwerdegericht. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Annahme der Voraussetzung eines Durchschnittsfalles oder Regelfalles, zu der auch die Frage der Verhängung des Fahrverbotes oder des Absehens von einem solchen nach der Bußgeldkatalogverordnung zu zählen ist. Soweit der Tatrichter ein Absehen vom Regelfahrverbot allein aus beruflichen Gründen des Betroffenen für angemessen erachtet, reicht hierzu nicht jeder berufliche Nachteil aus. Nach einhelliger obergerichtlicher Rechtsprechung rechtfertigt vielmehr nur eine Härte ganz außergewöhnlicher Art, die ggf. im Verlust der wirtschaftlichen Existenz zu sehen ist, den Verzicht auf ein Fahrverbot, (vgl. OLG Hamm, VRS 90, 210, 212; OLG Hamm, DAR 1996, 325; OLG Hamm NZV 1995, 366 f). Angaben des Betroffenen zu beruflichen oder wirtschaftlichen Schwierigkeiten dürfen dabei vom Tatrichter nicht ungeprüft übernommen werden. Vielmehr muss das Urteil sich mit der Glaubhaftigkeit von Angaben des Betroffenen auseinandersetzen, der sich auf besondere Härten wie etwa drohenden Existenz- oder Arbeitsplatzverlust beruft (Henschel, a.a.O., § 25 StVO Rdnr. 26 m.w.N.). Die damit entscheidende Frage, ob die Vollstreckung des einmonatigen Fahrverbotes arbeitsrechtlich tatsächlich eine Kündigung durch den Arbeitgeber des Betroffenen rechtfertigen würde, hat das Amtsgericht in dem angefochtenen Urteil indes dahinstehen lassen. Dies ist rechtsfehlerhaft. Hier hätte sich das Amtsgericht eine sichere Überzeugung bilden müssen. Es hätte sich auch mit der Frage auseinandersetzen müssen, inwieweit es dem Betroffenen zuzumuten ist, beruflichen Nachteilen infolge des Fahrverbotes durch rechtzeitige Planung von Urlaub während der einmonatigen Verbotsfrist zu begegnen, zumal ihm hier noch die 4-Monats-Frist des § 25 Abs. 2 a StVG zu gewähren wäre (vgl. Henschel, a.a.O., § 25 StVG Rdnr. 25). Insoweit reichen aber wiederum die Feststellungen des Amtsgerichts, es sei nachvollziehbar, dass der Betroffene den Jahresurlaub nicht zusammenhängend nehme könne, nicht aus. Das Amtsgericht hätte darlegen müssen, wie viele Wochen Jahresurlaub der Betroffe...

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