Entscheidungsstichwort (Thema)

Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren. nichtgeeichter Tacho. Feststellungen. Nachtzeit. Sichtverhältnisse. kurze Messstrecke

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei einer bei Dunkelheit oder schlechten Sichtverhältnissen durchgeführten Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren sind zusätzlich Angaben über die Beobachtungsmöglichkeiten der Polizeibeamten, insbesondere zum Abstand der Fahrzeuge und zur Sicht- und Beleuchtungssituation vor Ort erforderlich.

2. Je kürzer die Messstrecke ist, um so genauer sind die Umstände der Messung darzustellen.

 

Normenkette

StPO § 267

 

Verfahrensgang

AG Münster (Aktenzeichen 51 OWi 86/16)

 

Tenor

Das angefochtene Urteil wird mit den zu Grunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittels - an das Amtsgericht Münster zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat Betroffenen wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 320 Euro verurteilt, ihm insoweit Ratenzahlung bewilligt und gegen ihn ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts befuhr der Betroffene am 19.01.2016 um 20 Uhr in N die X-Straße mit einer Geschwindigkeit von 82,5 km/h, obwohl er wusste, dass er sich innerorts befand und eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 50 km/h galt. Die Geschwindigkeit wurde von zwei Polizeibeamten durch Nachfahren mit einem PKW und ablesen der Geschwindigkeit von dessen ungeeichten Tacho ermittelt. Von der insoweit abgelesenen Geschwindigkeit von 110 km/h hat das Amtsgericht wegen der Kürze der Messstrecke einen Toleranzabzug von 25% vorgenommen.

Gegen das Urteil wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt und Verfahrensrügen erhebt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die zulässige Rechtsbeschwerde hat auf die Sachrüge hin Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht Münster (§§ 354 StPO, 79 Abs. Abs. 3 und 6 OWiG).

Die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils weist einen durchgreifenden Rechtsfehler zu Lasten des Betroffenen auf. Grundsätzlich ist die Beweiswürdigung Sache des Tatrichters, dessen Überzeugungsbildung das Rechtsbeschwerdegericht nur darauf prüft, ob sie auf rechtsfehlerhaften Erwägungen beruht. Dies ist namentlich der Fall, wenn sie mit gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen oder unbezweifelbarem Erfahrungswissen unvereinbar ist, Widersprüche oder sonstige Verstöße gegen die Gesetze der Logik enthält oder Lücken aufweist, sich insbesondere nicht mit nahe liegenden alternativen Geschehensabläufen befasst, obwohl sich dies nach dem Beweisergebnis aufdrängt (vgl. nur BGH NJW 2007, 384).

Für die Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren ist anerkannt, dass sie als Beweis für eine Geschwindigkeitsüberschreitung auch dann ausreichen kann, wenn der Tachometer des nachfahrenden Fahrzeugs ungeeicht und nicht justiert war. Der Tatrichter muss sich in einem solchen Fall mit der Zuverlässigkeit der Messung und der Einhaltung der Voraussetzungen für die Verwertbarkeit auseinandersetzen und einen entsprechenden Sicherheitsabschlag vornehmen. Insoweit hat die Rechtsprechung Richtlinien für die beweissichere Feststellung einer durch Nachfahren ermittelten Geschwindigkeitsüberschreitung entwickelt. Danach müssen die Messstrecke ausreichend lang sein (weswegen es Angaben zu deren Länge bedarf) und der Abstand des nachfolgenden Fahrzeugs gleich bleibend (bzw. sich vergrößernd) und möglichst kurz sein (KG Berlin, Beschl. v. 27.10.2014 - 3 Ws (B) 467/14 - [...] - m.w.N.; OLG Celle, Beschl. v. 11.03.2013 - 322 SsBs 69/13 - [...] - m.w.N.); zugleich muss die Geschwindigkeitsüberschreitung wesentlich sein (KG Berlin a.a.O.). Bei in Dunkelheit oder schlechten Sichtverhältnissen durchgeführter Messung sind zusätzlich Angaben über die Beobachtungsmöglichkeiten der Polizeibeamten, insbesondere zum Abstand der Fahrzeuge und zur Sicht- und Beleuchtungssituation vor Ort erforderlich (KG Berlin a.a.O.; OLG Celle a.a.O.; vgl. auch OLG Hamm, Beschl. v. 19.03.2009 - 3 Ss OWi 94/09 - [...]; König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., § 3 StVO Rdn. 56b).

An diesen Vorgaben gemessen ist die Beweiswürdigung im vorliegenden Fall lückenhaft. Angesichts der Uhrzeit der Messung und der Jahreszeit herrschte bei ihrer Vornahme kein Tageslicht mehr. Deshalb sind hier die höheren Anforderungen an Messungen bei Dunkelheit zu erfüllen.

Schon die Länge der Messstrecke wird nicht eindeutig festgestellt. Lediglich in der Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils heißt es, dass die Zeugin S deren Länge mit 250-300 Meter angegeben habe. Aus dem (zulässigen) Verweis auf die Skizze Bl. 42 d.A. könnte man demgegenüber möglicherweise schließen, dass die Messstrecke 330 Meter lang war. Hingegen heißt es dann an späterer Stelle, dass das Gericht nic...

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