Verfahrensgang

AG Lüdenscheid (Aktenzeichen 82 OWi - 574 Js 1554/20 - 256/20)

 

Tenor

Das angefochtene Urteil wird mit den getroffenen Feststellungen aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Amtsgericht Lüdenscheid zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Lüdenscheid hat den Betroffenen im angefochtenen Urteil wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit und fahrlässigem Überholen, obwohl nicht übersehbar war, dass während des gesamten Überholvorgangs jede Behinderung des Gegenverkehrs ausgeschlossen war, zu einer Geldbuße von 370 € verurteilt. Zugleich hat es gegen ihn ein Fahrverbot von einem Monat unter Gewährung von Vollstreckungsaufschub verhängt.

Nach den tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils befuhr der Betroffene am 00.00.0000 die L539 in W., auf welcher eine Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h erlaubt ist, mit einer vorwerfbaren Geschwindigkeit von 141 km/h und überholte einen PKW vor bzw. noch in einer Linkskurve, obgleich er die Kurve nicht ausreichend einsehen konnte. Da die Messung nicht den Anforderungen genügte, die an ein standardisiertes Messverfahren zu stellen sind, hat das Amtsgericht seine Überzeugungsbildung sowohl betreffend die gefahrene Geschwindigkeit als auch betreffend die fehlende Übersichtlichkeit der Überholstrecke auf ein Sachverständigengutachten gestützt.

Gegen dieses Urteil hat der Betroffene Rechtsbeschwerde eingelegt und die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

II.

Die gem. § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat auf die Sachrüge hin (vorläufigen) Erfolg.

1)

Die der Verurteilung zugrundeliegende Beweiswürdigung erweist sich sowohl (a)) bezüglich der gefahrenen Geschwindigkeit als auch (b)) bezüglich der Übersichtlichkeit der Überholstrecke als lückenhaft und hält damit sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand (§ 261 StPO).

a)

Im Ansatz zutreffend ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass die Geschwindigkeitsmessung mittels des ProVida-Systems vorliegend wegen der Schrägfahrt des nachfahrenden Polizeimotorrades während des Messvorgangs nicht den Anforderungen genügt, welche an ein standardisiertes Messverfahren zu stellen sind.

aa)

Es liegt vielmehr lediglich ein individuelles Messverfahren ohne die Vermutung der Richtigkeit und Genauigkeit vor, sodass das Amtsgericht - wovon es selbst auch zutreffend ausgegangen ist - die Korrektheit des Messergebnisses individuell zu prüfen hatte (OLG Naumburg DAR 2016; 403; OLG Bamberg ZfS 2017, 171; OLG Düsseldorf BeckRS 2012, 01983; Burmann, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, 27. Aufl. 2022, § 3 StVO Rn. 85). Holt das Gericht aus diesem Grund - wie vorliegend - ein Sachverständigengutachten ein und misst diesem Beweisbedeutsamkeit bei, so muss es nach ständiger Rechtsprechung die Ausführungen des Sachverständigen in einer (wenn auch gerade in Bußgeldsachen nur gedrängt) zusammenfassenden Darstellung unter Mitteilung der zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen und der daraus gezogenen Schlussfolgerungen wenigstens insoweit wiedergeben, als dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner gedanklichen Schlüssigkeit erforderlich ist (stRspr; BGH, Urteil vom 20.03.1991 - 2 StR 610/90 -, Rn. 11, juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 31.05.2021 - 3 OWi 32 SsBs 97/21 -, Rn. 10, juris; Senatsbeschluss vom 10.05.2022 - 5 RBs 111/22).

bb)

Den vorstehend beschriebenen Anforderungen genügt die Beweiswürdigung mangels vollständiger Darlegung der Anknüpfungstatsachen nicht. So teilt das Amtsgericht zwar mit, dass der Sachverständige das Messvideo ausgewertet und aufgrund von sogenannten Orthofotos zwei Fixpunkte bestimmt habe. Die hiernach ermittelte Wegstrecke und Zeit habe unter Abzug näher dargelegter Toleranzen eine Mindestgeschwindigkeit von 141 km/h ergeben. Den Darlegungen in der Beweiswürdigung lässt sich jedoch nicht entnehmen, welche Fixpunkte gewählt worden sind, welcher Abstand zwischen den Fixpunkten bestand und auf welcher Weise dieser Abstand bestimmt worden ist sowie welche Zeit das Motorrad des Betroffenen zur Zurücklegung der Wegstrecke zwischen den Fixpunkten benötigte und wie diese Zeitspanne ermittelt worden ist. Aufgrund dieser fehlenden Darlegung wird der Senat nicht - was indes erforderlich wäre - in die Lage versetzt, die Geschwindigkeitsermittlung zu überprüfen.

Soweit zugunsten des Betroffenen zudem angenommen wird, dass für den Beginn der Messung auf die Position des vorderen und für das Ende der Messung auf die Position des hinteren Motorrades abgestellt wird, weil eine Vertauschung der Position der Motorräder nicht auszuschließen sei, ist das Urteil ferner nicht aus sich heraus verständlich. Weder den Feststellungen noch der Beweiswürdigung lässt sich entnehmen, ob und wie ein zweites Motorrad im Messvideo auftaucht.

b)

Ferner werden auch d...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge