Entscheidungsstichwort (Thema)

Corona, Ermächtigungsnorm, höherrangiges Recht, Parlamentsvorbehalt, Bestimmheitsgebot

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Verordnungsermächtigung des § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Sätze 1 und 2 IfSG verstößt - insbesondere mit Blick auf die Bestimmtheit der getroffenen Regelungen und deren Vereinbarkeit mit dem Vorbehalt des Gesetzes in seiner Ausprägung als Parlamentsvorbehalt – nicht gegen höherrangiges Recht (Anschluss an OLG Hamm, Beschlüsse vom 28. Januar 2021 zu III-4 RBs 446/20 und III-4 RBs 3/21).

2. § 12 Abs. 1 CoronaSchVO NRW i.d.F. v. 30.03.2020 ist von der Verordnungsermächtigung des § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Sätze 1 und 2 IfSG gedeckt.

 

Normenkette

CoronaSchVO NRW § 12 Abs. 1 Fassung: 2020-03-30, § 16 Abs. 3 Nr. 2 Fassung: 2020-03-30; IfSG § 32 S. 1, § 28 Abs. 1

 

Verfahrensgang

AG Dortmund (Aktenzeichen 733 OWi 64/20)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde wird zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen (Alleinentscheidung der T als Einzelrichterin).

Die Sache wird dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern einschließlich des Vorsitzenden übertragen (Alleinentscheidung der T als Einzelrichterin).

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Dortmund zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Mit Bußgeldbescheiden vom 23. April 2020 (Betroffener zu 1.) bzw. 12. Mai 2020 (Betroffene zu 2. und 3.) hat der Oberbürgermeister der Stadt E gegen die Betroffenen wegen verbotswidriger Teilnahme an einer Zusammenkunft oder Ansammlung im öffentlichen Raum von mehr als zwei Personen nach § 12 Abs. 1 i.V.m. § 16 Abs. 3 Nr. 2 der in Nordrhein-Westfalen erlassenen Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 (Im Folgenden CoronaSchVO) i.V.m. § 73 Abs. 1a Nr. 24 i.V.m. §§ 32, 28 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) ein Bußgeld in Höhe von jeweils 200,00 Euro mit dem Tatvorwurf festgesetzt, sie hätten sich in der Nacht vom 00. April 2020 auf den 00. April 2020 gemeinsam in der Zeit von 23:53 Uhr bis 0:08 Uhr auf dem Xplatz in E E1 aufgehalten.

Gegen diese Bescheide haben die Betroffenen jeweils fristgerecht Einspruch eingelegt.

Das Amtsgericht Dortmund hat die Betroffenen durch Urteil vom 02. November 2020 freigesprochen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass § 12 Abs. 1 CoronaSchVO gegen höherrangiges Recht verstoße. Zum einen sei die Vorschrift von der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage des § 28 Abs. 1 Sätze 1 und 2 i.V.m. § 32 IfSG nicht gedeckt und verstoße damit gegen Bundesrecht. Zum anderen sei die Norm für sich genommen keine geeignete gesetzliche Grundlage, weil eine solche Regelung dem parlamentarischen Gesetzgeber vorbehalten sei und die Norm damit wegen Verstoßes gegen den Parlamentsvorbehalt verfassungswidrig sei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gründe des amtsgerichtlichen Urteils verwiesen (veröffentlicht unter juris).

Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft Dortmund mit der Rechtsbeschwerde, deren Zulassung sie zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung für geboten erachtet und mit der unter Erhebung der allgemeinen Sachrüge ausgeführt wird, die CoronaSchVO finde in § 32 Sätze 1 und 2 i.V.m. § 28 Abs. 1 Halbsatz 1 IfSG eine ausreichende rechtliche Grundlage.

Die Generalstaatsanwaltschaft ist dem Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft unter näheren Ausführungen beigetreten.

Der Betroffene zu 1. hat mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 25. Januar 2021 Stellung genommen, in dem er Zweifel an der rechtswirksamen Einlegung der Rechtsbeschwerde "durch einen Sitzungsvertreter der Amtsanwaltschaft" geäußert und im Übrigen auf die zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Urteil verwiesen hat.

II.

Die Rechtsbeschwerde war zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen (§§ 79 Abs. 1 Satz 2, 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG) und die Sache dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern einschließlich des Vorsitzenden zu übertragen (§ 80 a Abs. 3 Satz 1 OWiG).

Das angefochtene Urteil wirft in materiell-rechtlicher Hinsicht die entscheidungserheblichen, klärungsbedürftigen und abstraktionsfähigen Rechtsfragen auf, ob der Ordnungswidrigkeitentatbestand aus § 12 Abs. 1 i.V.m. § 16 Abs. 3 Nr. 2 CoronaSchVO (hier und nachfolgend stets in der Fassung vom 30. März 2020) von der Ermächtigungsgrundlage des § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Sätze 1 und 2 IfSG gedeckt ist und ob ein Verstoß der Ermächtigungsnorm gegen höherrangiges Recht vorliegt. Zwar hat sich der hiesige 4. Strafsenat in zwei jüngst ergangenen Entscheidungen zu den aufgeworfenen Rechtsfragen geäußert und diese im gleichen Sinne entschieden, wie der Senat es tun will (vgl. Beschlüsse vom 28. Januar 2021 zu III-4 RBs 44...

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