Leitsatz (amtlich)

Trotz Existenzgefährdung kann ein Fahrverbot ausgesprochen werden, wenn der bereits vielfach und einschlägig vorbelastete Betroffene seine Nichtanordnung als "Freibrief" für weiteres Fehlverhalten verstehen würde. Es bedarf in diesen Fällen der Abwägung zwischen der Schwere der Wiederholungstäterschaft und dem Grad der Existenzgefährdung.

 

Verfahrensgang

AG Herford (Aktenzeichen 11 OWi 768/08)

 

Tenor

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben.

Insoweit wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht Herford zurückverwiesen.

 

Gründe

Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat in ihrer Antragsschrift vom 25.03.2009 Folgendes ausgeführt:

"I.

Das Amtsgericht Herford hat den Betroffenen durch Urteil vom 15.01.2009 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 125,00 EUR verurteilt, ihm für die Dauer von einem Monat verboten, Kraftfahrzeuge jeder Art im öffentlichen Straßenverkehr zu führen und angeordnet, dass das Fahrverbot erst wirksam wird, wenn der Führerschein nach Rechtskraft des Urteils in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von vier Monaten seit Eintritt der Rechtskraft.

II.

Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde ist rechtzeitig eingelegt und form- und fristgerecht begründet worden. Ihr ist auch in der Sache ein zumindest vorläufiger Erfolg nicht zu versagen.

Die infolge der wirksamen Beschränkung der Rechtsbeschwerde auf die allein erhobene Sachrüge nur noch auf den Rechtsfolgenausspruch zu erstreckende Überprüfung des angefochtenen Urteils zeigt einen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen auf, soweit das Amtsgericht die Verhängung eines einmonatigen Fahrverbots angeordnet hat.

Zwar unterliegt die Entscheidung, ob trotz Vorliegend eines Regelfalls der konkrete Sachverhalt Ausnahmecharakter hat und demgemäss von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen werden kann, in erster Linie der Beurteilung durch den Tatrichter (zu vgl. BGH NZV 1992, 286, 288). Dem Tatrichter ist jedoch insoweit kein rechtlich ungebundenes, freies Ermessen eingeräumt, das nur auf das Vorliegen von Ermessensfehlern hin vom Rechtsbeschwerdegericht überprüfbar ist, sondern der dem Tatrichter verbleibende Entscheidungsspielraum ist durch gesetzlich niedergelegte und von der Rechtsprechung herausgearbeitete Zumessungskriterien eingeengt und unterliegt insoweit hinsichtlich der Angemessenheit der verhängten Rechtsfolge in gewissen grenzen der Kontrolle durch das Rechtsbeschwerdegericht, und zwar insbesondere hinsichtlich der Annahme der Voraussetzungen eines Durchschnittsfalls oder Regelfalls, zu der auch die Frage der Verhängung bzw. des Absehens des Regelfahrverbotes nach der Bußgeldkatalogverordnung zu zählen ist (zu vgl. Senatsbeschluss vom 29.11.2007 - 3 SsOWi 784/07 -; OLG Hamm, Beschluss vom 24.01.2007 - 4 SsOWi 891/06 -). Zwar ist die Entscheidung des Tatrichters vom Rechtsbeschwerdegericht im Zweifel "bis zur Grenze des Vertretbaren" hinzunehmen. Der Tatrichter muss jedoch nach einhelliger Rechtsprechung der Obergerichte für seine Entscheidung eine eingehende, auf Tatsachen gestützte Begründung geben.

Soweit die persönliche Situation eines Betroffenen Anlass zu einer derartigen Prüfung sein kann, ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass der Betroffene berufliche und wirtschaftliche Schwierigkeiten als Folge eines angeordneten Fahrverbots regelmäßig hinzunehmen hat. Derartige Nachteile rechtfertigen daher kein Absehen von der Verhängung eines Regelfahrverbotes, sondern nur erhebliche Härten, wie z. B. ein drohender Verlust des Arbeitsplatzes oder der Verlust einer sonstigen wirtschaftlichen Existenzgrundlage (stände Rechtsprechung).

Die Behauptung des drohenden Verlustes des Arbeitsplatzes oder der Existenzgrundlage ist von dem Tatrichter einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Denn dem Betroffenen ist grundsätzlich zuzumuten, berufliche und wirtschaftliche Schwierigkeiten als Folge eines angeordneten Fahrverbotes durch Maßnahmen wie z. B. die Inanspruchnahme von Urlaub, die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln oder Taxen, die Heranziehung eines Angestellten als Fahrer, die Beschäftigung eines Aushilfsfahrers oder eine Kombination dieser Maßnahmen auszugleichen (Senatsbeschluss vom 04.03.2005 - 3 SsOWi 3/05 -). Für hierdurch auftretende finanzielle Belastungen muss notfalls ein Kredit aufgenommen werden (zu vgl. OLG Frankfurt NStZ-RR 2000, 312; OLG Karlsruhe NZV 2004, 653; BayOblG NZV 2002, 143). Derartige Belastungen durch einen Kredit, der in kleineren für den Betroffenen tragbaren Raten abgetragen werden kann, und die sich im Hinblick auf die verhältnismäßig kurze Dauer eines Fahrverbots von einem Monat in überschaubaren Grenzen bewegen, sind hinzunehmen.

Im vorliegenden Fall hat das Amtsgericht die Gefahr einer Existenzbedrohung für den Betroffenen durch das Fahrverbot verneint, wenn dieser sämtliche in Betracht zu...

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