Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorfahrt. Autobahn. Auffahrt. Verkehr. Bewegung. Stop-and-Go

 

Leitsatz (amtlich)

1. Damit ein Verstoß gegen die Regelung des § 18 Abs. 3 StVO vorliegen kann, muss ein Mindestmaß an Bewegung im Verkehr auf der durchgehenden Fahrbahn der Autobahn geherrscht haben.

2. Die Vorfahrtsregelung des § 18 Abs. 3 StVO kann allerdings nicht schon bei jeglichem verkehrsbedingten Halt auf der durchgehenden Fahrbahn - und sei er auch zeitlich noch so kurz - keine Geltung mehr haben. Erst wenn der Verkehr auf der durchgehenden Fahrbahn in einer Weise zum Stehen gekommen ist, dass mit einer erneuten Fahrbewegung in kürzerer Frist nicht zu rechnen ist, ist das der Fall.

 

Normenkette

StVO § 18 Abs. 3

 

Verfahrensgang

AG Siegen (Entscheidung vom 19.01.2018; Aktenzeichen 431 OWi 731/17)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde wird zur Fortbildung des Rechts zugelassen (Alleinentscheidung des mitunterzeichnenden Einzelrichters RiOLG Dr. Q).

Die Sache wird gem. § 80a Abs. 3 OWiG dem Senat in der Besetzung mit drei Berufsrichtern übertragen (Alleinentscheidung des mitunterzeichnenden Einzelrichters RiOLG Dr. Q).

Das angefochtene Urteil wird mit den zu Grunde liegenden Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittels - an das Amtsgericht Siegen zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Nichtbeachtung der Vorfahrt gem. §§ 18 Abs. 3, 1 Abs. 2, 49 StVO, 24 StVG, Nr. 82 BKatV, § 3 Abs. 3 BKatV, § 19 OWiG zu einer Geldbuße von 110 Euro verurteilt.

Das Amtsgericht hat zur Tat folgende Feststellungen getroffen:

"Am ##.##.2017 gegen 17:10 Uhr bestand auf der zweispurigen Bundesautobahn A## in Fahrtrichtung A Stau. Der Zeuge X befuhr mit einer Sattelzugmaschine den rechten Fahrstreifen. Der Betroffene wollte bei km ######## vom Beschleunigungsstreifen auf den rechten Fahrstreifen der A## mit dem PKW, Marke BMW 3C mit dem amtlichen Kennzeichen xxx-x-xxx auffahren. Der Betroffene war Führer des PKWs und wollte dieses zum Halter überführen. Unmittelbar vor ihm fuhr der Zeuge C, der vollständig auf den rechten Fahrstreifen gewechselt hat und aufgrund eines vor ihm stehenden Sattelzugs stehen bleiben musste. Aufgrund der Verkehrslage konnte der Betroffene nicht vollständig die Fahrspur wechseln und blieb schräg zwischen dem Beschleunigungsstreifen und der rechten Fahrspur stehen. Dabei stand das Fahrzeug auf dem Markierungsstreifen mit dem vorderen rechten und dem hinteren linken Rad.

Der Zeuge X fuhr an und übersah den Betroffenen. Es kam zu einer Kollision beider Fahrzeuge, wobei die Sattelzugmaschine des Zeugen X vorne rechts und das Fahrzeug des Betroffenen zwischen den Rädern an der linken Seite eingedrückt wurde. Es gab keinen Personenschaden."

Das Amtsgericht geht in den Entscheidungsgründen u.a. davon aus, dass der Betroffene wartepflichtig gewesen sei. Er habe seinen "Überholvorgang" auf dem rechten Fahrstreifen zu einem Zeitpunkt begonnen, zu dem er nicht mit Sicherheit habe sagen können, dass er ihn vollständig beenden können würde. Damit habe er sich das Überholen gegenüber dem Vorfahrtsberechtigen erzwingen wollen.

Gegen das Urteil wendet sich der Betroffene mit dem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, den er mit einer Verletzung "formellen und materiellen" Rechts begründet. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Rechtsmittel mangels Zulassungsgrund als unbegründet zu verwerfen.

II.

Der mitunterzeichnende Einzelrichter lässt die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts zu und überträgt die Sache gem. § 80a Abs. 3 OWiG aus diesem Grund auf den Senat in der Besetzung mit drei Berufsrichtern, weil die Rechtsfrage, inwieweit § 18 Abs. 3 StVO auch dann gilt, wenn der Verkehr auf der durchgehenden Fahrbahn steht, einer obergerichtlichen Klärung bedarf.

III.

Die vom Einzelrichter zur Fortbildung des Rechts zugelassene und auf den Senat in der Besetzung mit drei Berufsrichtern übertragene Rechtsbeschwerde hat auf die Sachrüge hin Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht (§ 79 Abs. 6 OWiG).

Die bisherigen Feststellungen ergeben keinen Verstoß gegen § 18 Abs. 3 StVO. Zutreffend geht das Amtsgericht zwar davon aus, dass der auf eine Autobahn Auffahrende das Vorfahrtsrecht des fließenden Verkehrs zu beachten hat (OLG Hamm VersR 1994, 952), und zwar auch dann, wenn zähfließender Verkehr und staubedingt "Stop-and-Go-Verkehr" herrscht (LG Essen, Beschl. v. 08.04.2013 - 1 5 S 48/13 - juris). Wie schon die Formulierung im Gesetz "Vorfahrt" zeigt, muss allerdings ein Mindestmaß an Bewegung im Verkehr auf der durchgehenden Fahrbahn der Autobahn geherrscht haben, da ansonsten nicht von "Fahrt" gesprochen werden kann. Steht der Verkehr auf der durchgehenden Fahrbahn hingegen, so gibt es keine "Vorfahrt", die Vorrang haben könnte. Bei stehendem Verkehr auf der durchgehenden Fahrbahn würde es auch keinen Sinn machen, den Auffahrenden dazu zwingen zu wol...

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