Entscheidungsstichwort (Thema)

Beweisantrag. Ablehnung. Aussetzung der Hauptverhandlung. spätes Vorbringen des Beweisantrages

 

Leitsatz (amtlich)

Für die Frage, ob die Beweiserhebung zur Aussetzung der Hauptverhandlung führt, ist maßgeblich, ob ein seine Aufgaben pflichtbewusst erfüllender Richter - auch unter Berücksichtigung der üblichen Schwankungen in der wöchentlichen Arbeitsbelastung, d.h. auch bei angemessener Mehrarbeit gegenüber seiner üblichen wöchentlichen Arbeitsbelastung - den Fortsetzungstermin zur Durchführung der Beweisaufnahme nicht mehr hätte ansetzen können. Dies ist dann der Fall, wenn er - auch bei angemessener Mehrarbeit - den Fortsetzungstermin voraussichtlich nicht ohne Aufhebung anderer Termine oder Vernachlässigung anderer Pflichten (wie etwa sorgfältige Vorbereitung anderer Hauptverhandlungen, Wahrung der Urteilsabsetzungsfristen, Wahrung des besonderen Beschleunigungsgebots in Haftsachen etc.) nicht durchführen kann.

 

Normenkette

OWiG § 77 Abs. 2 Nr. 2

 

Verfahrensgang

AG Siegen (Aktenzeichen 431 OWi 361/13)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Die Sache wird auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittels - an das Amtsgericht Siegen zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Siegen hat den Betroffenen mit dem angefochtenen Urteil wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 120 Euro verurteilt. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts befuhr der Betroffene am 10.02.2013 die L ### außerorts von C-X kommend in Richtung O. An einer Stelle, an der die zulässige Höchstgeschwindigkeit durch Verkehrszeichen auf 50 km/h begrenzt ist, wurde sein Fahrzeug mit einer Geschwindigkeit (nach Abzug der Toleranz von 3 km/h) von 84 km/h gemessen. In der Hauptverhandlung vom 10.10.2014 hatte der Betroffene einen Antrag auf Vernehmung zweier Zeugen gestellt zum Beweis für die Tatsache, dass das o.g. Verkehrsschild aufgrund von Ästen, welche erst nach der Messung zurückgeschnitten worden seien, verdeckt gewesen sei. Gleichzeitig beantragte er die Einholung einer Stellungnahme der Straßenmeisterei zum Zeitpunkt des Rückschnitts der Äste. Das Amtsgericht hat diese Anträge nach "§ 77 Abs. 2 Nr. 2 OWiG" zurückgewiesen, da "die Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nach seinem pflichtgemessen Ermessen nicht erforderlich" sei. Die Anträge seien "ohne verständigen Grund so spät vorgebracht" worden, "dass die Beweiserhebung zur Aussetzung der Hauptverhandlung führen würde". Dazu führte das Amtsgericht im angefochtenen Urteil u.a. aus, dass es seinerzeit schon für Ende Januar terminiert habe, bei zwei bis drei Sitzungstagen pro Woche. Aufgrund dieser Belastung sei eine Durchführung eines Fortsetzungstermins innerhalb der Frist der §§ 71 Abs. 1 OWiG, 229 Abs. 1 StPO nicht möglich.

Gegen das Urteil wendet sich der Betroffene mit dem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde. Er rügt die Verletzung materiellen und formellen Rechts. Er macht geltend, die Ablehnung der Vernehmung der beiden Zeugen sei zu Unrecht erfolgt. Es liege insoweit auch eine Verletzung rechtlichen Gehörs vor.

Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat beantragt,

den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

Durch Entscheidung des Berichterstatters, Richter am Oberlandesgericht Dr. Q, als Einzelrichter wird die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG zugelassen und die Sache nach § 80a Abs. 3 OWiG auf den Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen. Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Beweiserhebung in Fällen einer voraussichtlichen Verfügbarkeit des Beweismittels innerhalb der möglichen Unterbrechungsfrist gleichwohl zu einer Aussetzung der Hauptverhandlung führt (§ 77 Abs. 2 Nr. 2 OWiG) und welche Feststellungen in diesem Zusammenhang erforderlich sind, existiert - soweit ersichtlich - noch keine obergerichtliche Rechtsprechung.

III.

Die (auch im Übrigen) zulässige Rechtsbeschwerde hat auf die Rüge der Verletzung des § 77 Abs. 2 Nr. 2 OWiG hin Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache (§ 79 Abs. 6 OWiG). Das Fehlen der Rechtsbeschwerdeanträge ist unschädlich, da aus dem Gesamtzusammenhang der Rechtsbeschwerdebegründung erkennbar wird, dass der Betroffene eine Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache begehrt (vgl. insoweit: Meyer-Goßner in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 344 Rdn. 2 m.w.N.).

Die Ablehnung des von dem Betroffenen in der Hauptverhandlung gestellten o.g. Beweisantrages hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

Die erhobene Rüge, die zwar die verletzte Vorschrift nicht bezeichnet, die aber aufgrund der weiteren Ausführungen der Rechtsbeschwerde als Rüge der Verletzung des § 77 Abs. 2 Nr. 2 OWiG erkennbar ist, scheitert nicht an der Nichterfü...

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